Der Moderator Nicolas Jahr sowie seine Gäste, die E-Auto-Journalistin Vanessa Lisa Oelmann, der Produktdesigner Christoph Reichelt und der Autor und Blogger Alex Voigt kamen am 23. September auf die Bühne bei 2befair elektrische COMMUNITY. Das Publikum erwartete beim Thema Fahrzeuggestaltung wahrscheinlich, dass es nur um Design ging, doch diskutierten sie letztlich auch um autonomes Fahren und um Hersteller-Strategien. Aber es war hochinteressant.
Autonomes Fahren und Akzeptanz
Obwohl autonomes Fahren zu weniger Unfällen führt, ist die Durchsetzung auf der Straße letztlich eine Haftungs- und Verantwortungsfrage. Die verschiedenen Level von teilautonomen bis hin zu vollautonomen Fahren sind keine technischen Level, sondern Haftungslevel. Dennoch ist es gar nicht mehr die Frage, wann das vollautonome Fahren kommt, es gibt es bereits in Form von Robotaxis in den USA und in China. Für den Individualverkehr wird es in den nächsten 12 Monaten kommen, und Tesla oder ein chinesischer Hersteller wird der Erste sein. Tesla denkt bei Taxis und den ÖV eher an ein kleines, autonomes 2-sitziges Taxi, von denen bei größerer Nachfrage mehrere zu einem Schwarm gekoppelt werden. Dies könnte auch auf dem Land interessant werden, wo heute häufig große, fast leere Busse verkehren.
Die Akzeptanz für das individuelle autonome Fahren wird vom Vertrauen des Nutzers abhängen: Ich vertraue meine Gesundheit und mein Leben einer Technik an, das ist das Entscheidende. Doch auch Emotionen spielen eine Rolle, meinte Vanessa Lisa, einen Porsche 911 werden viele eher selbst fahren wollen, während Fahrer:innen der eher für die Reise gedachten Porsches, wie der Panamera oder Macan, auch den autonomen Betrieb nachfragen werden. Der Use-Case sei daher entscheidend.
Für die Akzeptanz von E-Auto generell wird in der Übergangszeit für einige noch ein „Verbrenner-Sound“ oder ein simulierter Gangwechsel nötig sein. Auch macht ein Hybrid es einigen leichter, zur Akzeptanz eines E-Antrieb zu finden. Christoph verstehe das nicht, machte er deutlich, er will keine Tricks und Simulationen, sondern Authentizität. Ein E-Auto ist E-Auto.
Hersteller-Strategien: Leeres Blatt vs. Gewöhnungsstrategie
Die deutschen Hersteller scheinen eine Gewöhnungs-Strategie zu bevorzugen. Ob sie es dem Kunden nicht zutrauen oder einfach lange für die Umstellung brauchen, beides könnte zutreffen. Alex war sogar der Ansicht, die hiesige Autoindustrie habe das Problem noch gar nicht verstanden und könne es deshalb auch nicht lösen. Sie sind zu zögerlichen Nachahmern geworden, weil sie zu Beginn gedacht haben, Elektro sei einfach nur ein neuer Antrieb. Deshalb bieten sie auch kein konsequentes E-Auto. In der Folge scheint es in Deutschland gar kein Ziel der Hersteller mehr zu sein, den Massenmarkt zu versorgen. Man entwickelt sich zu Nischen-Herstellern, in denen noch Profit möglich ist – also große, teure Autos.
Den Massenmarkt werden Tesla und chinesische Hersteller dank einer anderen Strategie übernehmen, dem leeren Blatt Papier. Sie haben E-Autos vollkommen neu gedacht, bei Tesla sogar inkl. Ladestationen, welche Akzeptanz und Verbreitung sicherstellen.
Insbesondere für den Bedarf nach günstigen Autos müssen diese vollkommen neu entwickelt werden. Die bestehende Klein- und Kleinstautos in Elektro anzubieten wird keine Strategie sein, mit der profitabel angeboten werden kann. Ein kleines Auto ist nicht ein großes Auto in klein, das ist zu komplex. Tesla hat heute die Kostenführerschaft, mit den alten Strukturen in der deutschen Industrie sind niedrige Kosten gar nicht möglich. Es werden aber neue Hersteller kommen, die heute noch keiner kennt, mit völlig neu entwickelten Klein- und Kleinstautos.
Es läuft also darauf hinaus, was in der Ökonomie als ‚Creative Destruction‘ bezeichnet wird. Neue Hersteller, die das E-Auto völlig neu gedacht haben und auf einem leeren Blatt Papier kreativ neu anfangen konnten, werden in der Tendenz die Gewinner sein, die alten Hersteller werden tendenziell die Verlierer sein, falls sie sich nicht ganz schnell anpassen. In den meisten Branchen ist es so, kaum einer der Weltmarktführer von vor 30 Jahren ist das heute noch. Hingegen sehen wir neue Anbieter, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht sind. Das Kreative und die Zerstörung finden selten am selben Ort statt. In den USA hat sich herausgestellt: Kalifornien ist das neue Detroit.
Hier geht es zu einer Videoaufzeichnung dieser Diskussionsrunde:
Dieser Beitrag erscheint am 16. Oktober 2023 neben zahlreichen anderen über das Diskussionsprogramm in Hamm in der Ausgabe 20 des T&Emagazins.
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Weitere Informationen zum Inhalt der Ausgabe finden sich in diesem Beitrag.