Mit dem Präsidenten des Bundesverbandes eMobilität (BEM) Kurt Sigl sprachen Oliver Bornemann, bei YouTube unterwegs als Tesla Olli, und Timo Schadt vom T&Emagazin über die Perspektiven der deutschen Autobauer.
Timo: Kämpfen VW und Tesla um die Vorherrschaft in der E-Mobilität?
Kurt: Die Zeichen und Weichen sind gesetzt und wir haben eine hohe Erwartungshaltung, was VW betrifft. Ich denke, dass die nächsten eineinhalb bis zwei Jahre zeigen, wer die Vorherrschaft übernehmen könnte.
Tesla Olli: Timo, wie siehst du das?
Timo: Man befindet sich in den Startlöchern, aber eben lediglich in den Startlöchern. Das eigentliche Rennen steht noch aus. Was Tesla macht, ist ein weltweites Projekt. Die sind auch in Asien unterwegs, es sind Pfeiler, die sie ‚einrammen‘, nicht nur in Grünheide. Die Schnelligkeit ist ausschlaggebend.
Tesla Olli: Sehen wir das nicht ein wenig durch die rosarote Tesla-Brille? Wenn ich mir den VW-Konzern anschaue, ist da ja nicht nur VW. Da ist Audi, Skoda, Seat, Porsche… Und wenn die den Hebel in Richtung E-Mobilität umlegen, kommen natürlich schon Massen zusammen in Bewegung.
Kurt: So schnell kann man diese Hebel nicht umlegen. Man muss sich vorstellen, dass der Aufsichtsrat letzte Woche – ja, jetzt erst – die Mitarbeiter aufgefordert hat, sich mit dem Thema E-Mobilität zu beschäftigen. Erst jetzt wurden die Mitarbeiter aufgefordert, dass sie Elektroautos fahren sollen. Das ist eine Farce! Wenn man sich diese Aussage näher betrachtet, merkt man, wie weit hinten man in diesem Konstrukt ist und wie hierarchisch das alles aufgebaut ist. Diese Hierarchie sollte längst weg sein. Sie ist aber leider aus den Köpfen der Mitarbeiter schlecht wegzukriegen.
Timo: Wo siehst du die deutsche Automobilindustrie im weltweiten Vergleich?
Kurt: Wir hinken hinterher. Es gibt jedoch eine Ausnahme, und das ist Porsche. Schön, dass jetzt VW auch Anstrengungen zur Aufholjagd unternimmt. Ganz klar muss ich aber sagen – und das sehe ich nicht durch die Tesla-Brille – dass VW, kurz vor Markteinführung, noch über Steuerungselemente diskutiert, ist für mich ein deutliches Zeichen, dass man in einigen Ecken geschlafen hat. Ein Steuergerät kann doch nicht so schwer zu konstruieren sein. Ich beschäftige mich fast jede Woche mit einem anderen E-Auto: Renault Zoe, den meine Frau übrigens fährt, Hyundai Kona, und so weiter, daher sehe ich eindeutig ein Hinterherhinken von VW.
Timo: Was ist aber mit den deutschen Herstellern wie BMW und Mercedes?
Kurt: Bei Mercedes mache ich mir die allermeisten Sorgen. Man spricht hier von massentauglichen E-Autos. Wenn man jedoch auf ein bestelltes Fahrzeug 12 bis 16 Monate warten muss, ist das ein Offenbarungseid. Das sieht man beim Smart: Nach circa acht Jahren kriegt man es immer noch nicht hin, dass man ihn sofort kaufen kann. Ebenso meine ich, dass diese ganzen Hybridisierungsgeschichten verlorene Entwicklungen und Gelder sind. Der Hybrid ist meines Erachtens noch nicht einmal eine Brückentechnologie. Das ist ein echter Rohrkrepierer, der völlig vor die Wand gefahren wird.
Tesla Olli: Ich habe verschiedene deutsche E-Autos Probe gefahren: Audi-E-Tron, Opel e-Corsa, die sind ja nicht schlecht. Autos bauen, das können die Deutschen doch. Es gibt eben Schwierigkeiten im Verbrauch, im Antriebsstrang und eventuell bei den E-Motoren, oder wie seht ihr das?
Timo: Für den deutschen Markt mag es interessant sein, auch ein deutsches Auto zu kaufen. Wenn sich der europäische Markt für die chinesischen Hersteller öffnet, scheuen sich vielleicht die Deutschen zuzugreifen, aber Kunden anderer Länder werden mit Sicherheit einkaufen. Wir betrachten zu sehr die eigene Wirtschaft und verkennen, dass dieser Absatzraum eher bescheiden ist.
Tesla Olli: Tesla hat doch auch viele deutsche Zubehörteile drinnen, oder?
Kurt: Es werden zukünftig noch viel mehr verbaut, sobald in Grünheide die Fabrik fertig gestellt ist. Die Zubehör-Firmen stehen doch schon Schlange. Der deutschen Autoindustrie fehlt meines Erachtens der Mut. Sie bewegt sich seit langem in einer riesigen Komfortblase. Die gilt es, endlich zu verlassen, endlich mal wieder ins Agieren zu kommen, anstatt nur zu reagieren, nicht mehr den Dingen hinterher zu hecheln, die längst der Vergangenheit angehören. Wir müssen etwas vorweisen, was einzigartig ist – das sollte der Anspruch sein.
Timo: Wo stehen denn die BEM-Mitgliedsunternehmen? Beschreibe doch mal die Situation eures Verbandes.
Kurt: Hersteller, die bei uns Mitglieder sind, sind Importeure, also keine deutschen Hersteller. Uns wurde immer von den deutschen Herstellern gesagt, dass das Verhältnis VDA (Anm. d. Red.: Verband der Automobilindustrie) und dem BEM wie das von Nord- zu Südkorea sei. Möchte sagen, man ignoriert uns vonseiten des VDA. Wir haben aber auch Mitglieder aus der Zulieferbranche, nehmen wir als Beispiel ZF oder Bosch. Ich glaube, dass ZF inzwischen verstanden hat, worum es geht, dass es sich um ein Netzwerk handelt, das sich übergreifend mit der E-Mobilität beschäftigt und eben nicht nur mit dem Auto. Wir sollten uns mit anderen Szenarien beschäftigen, zum Beispiel, ob Autos in zehn bis 20 Jahren überhaupt noch den Stellenwert haben.
Timo: Warum sind die deutschen Automobilhersteller noch nicht Mitglied im BEM?
Kurt: Sie dürfen es einfach nicht, weil der VDA etwas dagegen hat. Ich habe bald ein Treffen mit der Präsidentin des VDA, Frau Müller. Die beiden vorherigen Präsidenten haben sich mit Händen und Füßen gegen eine Mitgliedschaft gewehrt. Wir werden sehen, wie Frau Müller dazu steht. Wir sollten die E-Mobilität als Gesamtpaket verstehen und die Sparte Auto kann der VDA auch zukünftig weiterbetreiben. Aber die Themen rundherum, da sind wir in unserem Portfolio gut aufgestellt. Warum sollte der VDA das nicht nutzen können? Es ist wichtig, im Dialog zu stehen, sonst kann man nichts bewegen. Wir hoffen einfach, dass die zehnjährige Ignoranz mit der neuen Führung nun endlich aufhört. Eine Energie- und Mobilitätswende muss man miteinander und nicht nebeneinander gestalten wollen! Die Expertisen unserer Mitglieder sind einzigartig – wie unser YouTube-Kanal „Die starken Stimmen“ zeigt. Die sollte man als VDA einfach nutzen!
Tesla Olli: Kurt, wie siehst du die Politik in ihrer Rolle, die in den meisten Aufsichtsräten der Automobilindustrie vertreten ist?
Kurt: Die Regierung hat keinen Plan, die Energie- und Mobilitätswende voranzubringen. Es gibt zum Beispiel keine koordinierende Stelle, die auf Bundesebene Wirtschafts-, Umwelt- und Verkehrsministerium zusammenbringt. Es ist ein Wirrwarr!
Timo: Wie sieht es in Bayern aus?
Kurt: Katastrophal! Es ist nichts passiert! Vor zweieinhalb Jahren war ich zu einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft eingeladen. Dort hat der Präsident vor circa 500 Politik- und Wirtschaftsvertretern gesagt, dass es die erste Aufgabe der bayerischen Wirtschaft sein müsse, die bayerische Automobilindustrie vor der E-Mobilität zu schützen. Ich sagte damals zu meiner Sitznachbarin, Ilse Aigner, der damaligen bayerischen Wirtschaftsministerin: Wer übernimmt in zwei, drei Jahren die Verantwortung für diese Aussage? Jetzt sind wir mittendrin und versuchen zu retten, was zu retten ist.
Timo: Und wie sieht es bei BMW aus?
Kurt: Da habe ich ein wenig Hoffnung. Es gibt den BMW i3 als Hoffnungsträger, der läuft, auch durch die Förderung sehr gut. Obwohl man zwischendurch überlegt hat, das Modell einzustellen. Der i3 ist nach wie vor modern und aktuell. Was mich stört, ist die totale Fokussierung auf die Hybridmodelle. Aber BMW ist nach wie vor ein Familienunternehmen, in einem solchen Betrieb ist Einiges schneller zu bewirken als in einem Großkonzern, wie zum Beispiel VW. Da hat das Land Niedersachsen Mitspracherechte, was die Entscheidungen noch verzögert.
Timo: Inwiefern kannst du als Präsident des Vereins BEM mit den deutschen Automobilunternehmen sprechen?
Kurt: Das einzige Gespräch, das stattgefunden hat, war mit VW im Januar 2019 mit einem engen Mitarbeiter von Herrn Diess. Das hat mir gezeigt, dass die Weichenstellung richtig ist. Herr Diess hat einen Plan. Er bekommt allerdings massiven Gegenwind aus den eigenen Reihen zu spüren. Umso mehr habe ich hohen Respekt, dass er seine Urlaubsfahrt mit einem ID.3 probiert und auch positiv darüber berichtet hat. Macht das irgendein anderer CEO in einem deutschen Automobilwerk? Wir kriegen keinen Termin bei BMW, keinen bei Daimler. Das interessiert die alles nicht. Die sagen, das macht bei uns der VDA. So eine Haltung hat noch nie gutgetan. Es ist ganz wichtig, Offenheit zu zeigen und sich mit anderen Themen zu beschäftigen.
Timo: Es gibt Stimmen, die sagen, dass VW die Vormachtstellung von Tesla kippen wird. Hältst du das für wahrscheinlich?
Kurt: Ich sehe tatsächlich Land in Sicht, aber da müssten alle an einem Strang ziehen, und das scheint die Herausforderung zu sein. Es ist keine Frage des Könnens. Mit dem Baukastensystem ist VW für eine Umstellung auf die E-Mobilität bestens vorbereitet. Ich habe nur Angst vor den Kräften, die im Hintergrund wirken, die Gewerkschaften zum Beispiel, das Land Niedersachsen und eben die ewig Gestrigen aus der dortigen Politik. Es wird Herrn Diess‘ Hauptaufgabe sein, das zu lösen.
Tesla Olli: Der ID.3 wird gut bestellt. Mit der Preisgestaltung hat man nicht die Spielräume wie Tesla. Wird der Preis oder die Qualität ausschlaggebend für die Wahl sein?
Kurt: Man kann sehr viel über die Qualität machen. VW hat trotz aller Krisen immer noch einen sehr guten Namen, der auch mit Qualität hinterlegt ist. Auch sollte man sich seitens der Gewerkschaften Gedanken um ein anderes Bezahl- beziehungsweise Honorierungssystem machen. Wenn der Erfolg da ist, sollte jeder Einzelne an diesem auch beteiligt werden.
Timo: Du kritisierst die Gewerkschaften. Hast du schon das Gespräch mit diesen gesucht und sind sie offen für die E-Mobilität?
Kurt: Vor Jahren waren die Gewerkschaften noch blind für die E-Mobilität. Hier ist ein Paradigmenwechsel im Gange und wenn der nicht mitgegangen wird, wird es der Autoindustrie auf die Füße fallen. Ich wünsche mir mehr Unternehmertum unter den Gewerkschaftlern. Die Arbeitnehmer der Automobilindustrie, das erfahre ich hier oft in meiner Heimatstadt Ingolstadt, wissen nichts über die E-Mobilität. Ich wünschte mir, dass zum Beispiel die Audi AG einmal einen Fachreferenten für E-Mobilität holen würde – gerne auch mich – um den Führungskräften klar zu machen, was E-Mobilität in der Gesamtheit eigentlich bedeutet. Damit meine ich nicht die Umstellung der Fahrzeuge, das können sie. Es muss ankommen, was die E-Mobilität insgesamt für Chancen bietet, was sich für neue Geschäftsmodelle ergeben.
Tesla Olli: Wenn jetzt die Produktionszahlen und die Zulassungen derart zunehmen, wo laden wir die E-Autos? Tesla ist da außen vor.
Kurt: Am Ende, das prophezeie ich, werden wir wohl eine Flatrate haben, um unseren Strom zu bekommen, wie jetzt beim Handyvertrag. Es gibt eine neue Ladeverordnung. Es müssen bessere Strukturen geschaffen werden. Wir werden das hinkriegen. Man muss sich auch anschauen, was bei den Discountern gerade passiert, all das wird eine rasante Entwicklung nehmen. Ein Erfolg, siehe Tesla, liegt nicht mehr im Auto allein, sondern in der Gesamtheit.
Timo: Was macht Tesla falsch, was könnte zum Verlust der Vormachtstellung führen?
Kurt: Einzig und allein der Service. Die Menschen wollen einen zuverlässigen Service! Das wurde wohl auch erkannt, aber es muss jetzt schnell gehandelt werden, sonst könnte das ein Boomerang für Tesla werden.
Das Gespräch erscheint in der Ausgabe 8 des T&Emagazin.
Weitere Themen sind:
- Tesla – Battery Day
- Tesla – Neue Supercharger Strategie von Timo Schadt
- Tesla – Nur ein Softwarefehler – Fahrzeuge anderer Marken konnten am Tesla V3-Supercharger laden von Timo Schadt
- Tesla – Peter Altmaier: „Nachhaltigkeit und Lebensfreude“ von Markus Weber
- Tesla – Tesla Center Köln: Marke ist bekannt genug von Timo Schadt
- Tesla Welt – News des Quartals von David Reich
- Tesla – Wann kommt das neue Software Update? von Martin Hund
- Community – E-Cannonball 2020 – Impressionen und Ergebnisse
- Elektroauto Guru von Antonino Zeidler
- E-Mobilität – Car Maniac E-Auto-Tests von Christopher Karatsonyi
- E-Mobilität – Größter Ladepark der EU in Hilden – Die Eröffnung steht vor der Tür von Timo Schadt
- Die Herausgeber – Tesla Fahrer und Freunde e.V. von Thorsten Dohe
- Die Herausgeber – TOCH beim nationalen Tag der E-Mobilität
in der Schweiz von Martin Haudenschild - Energie- & Mobilitätswende – Kommentar von Georg Giglinger zur Umweltfreundlichkeit
- Energie- & Mobilitätswende – Mit E-Mobilität Klima retten? von Markus Weber
- Energie- & Mobilitätswende – Voltego – Ökostrom von Timo Schadt
- Energie- & Mobilitätswende – Sektorenkopplung von Christian Brockmann
- Energie- & Mobilitätswende – Einfach Einsteigen Interview mit Mark Wege
- Energie- & Mobilitätswende – Beispiel Caritas Fulda von Markus Weber
- Wirtschaft – Interview mit Mario Herger: „Wo sind die deutschen Startups?“ von Timo Schadt
- Innovator – Gespräch mit Hans Kurtzweg: Von 0 auf Giga 4 von Antonino Zeidler und Timo Schadt
- Reisebericht – Sommerurlaub mit Familie und Kia e-Niro von Florian Bach
- Reisebericht – Camping mit dem Tesla von Alexander Scharr
- Fanboy – Gabor Reiter über die Visionen von Elon Musk
Einzelhefte oder gleich ein paar zum Weitervereilen können über den T&Eshop gegen Porto- und Versandkostenübernahme bestellt werden. Denn jeder E-Mobilist kennt die Situation z.B. beim Laden auf die Erfahrung mit dem E-Auto angesprochen zu werden. Praktisch, wenn man den Fragenden dann etwas an die Hand geben kann.
Ein Einzelheft der Ausgabe 8 kann man hier vorbestellen.
Wer mehr Hefte zum Weiterverteilen haben möchte, kann zu kleinen Mehrkosten 5, 10 oder 20 Exemplare bestellen oder hier dauerhaft ein Abonnement ebenfalls in Wunschmenge abschließen.
Auf dem YouTube-Kanal Tesla Olli ist das vollständige Gespräch zu finden:
https://www.youtube.com/watch?v=51LtwIQzF0o&t=1168s
Alles schön, nur ein E-Auto ist ein Computer auf Rädern ! Und da fehlt es gewaltig bei den deutschen Herstellern. Dies müssen sie in den Griff bekommen, sonst bleiben sie stehen !