Welchen Wald sehen wir morgen?
Im Wald wird zunehmend eine Sonnenbrille nötig, jedenfalls für die paar Prozent der Bevölkerung, die noch aktiv einen Wald aufsuchen. Denn nur noch jeder fünfte Baum ist gesund. Alle anderen Bäume lassen immer mehr Licht durch, denn ihre Kronen verlichten, sie haben also immer weniger Blätter.

Der Anteil der Bäume mit starker Verlichtung (>25% Blattverlust) stieg im Zeitraum von 1984 bis 2023 von 23 auf 36 Prozent, der Anteil gesunder Bäume mit weniger als 10 Prozent Blattverlust sank im gleichen Zeitraum von 44 auf 20 Prozent. Dazu muss man sich erinnern, dass die nur noch 44 Prozent gesunde Bäume im Jahr 1984 ‚Waldsterben‘ hießen, inzwischen sind wir eben bei 20 Prozent. Damals war die erste Reaktion der Politik auf den Zustand der Wälder die Umbenennung des Waldschadensberichtes in Waldzustandsbericht. Diese Zeiten sind vorbei. Solche Deckmäntel reichen heute nicht mehr. Okay, zugegeben, durch den öffentlichen Druck wurden damals Treibstoffe und Kraftwerke entschwefelt, einige Wälder wurden gekalkt, und das hat auch geholfen. Durch das weiterhin ungehemmte Wachstum bei Klimagasen wie Kohlendioxid oder Methan und anderen Schadstoffen hat uns die Luftverschmutzung auf andere Weise wieder eingeholt, neben der direkten Schädigung des Waldes verändert sich inzwischen das Klima.
Die Waldzustandserhebung 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zeigt auf den ersten Seiten, trotz des miserablen Waldzustands, zwar immer noch Bilder eines sehr gesunden Waldes, aber im Bericht selbst ist darüber nicht viel zu lesen, dort dominieren die oben genannten traurigen Zahlen.
Bedroht sind alle Funktionen unseres Waldes: Holzgewinnung, Sauerstoffproduktion, Luftfilter, Kühlung der Luft, Wasserspeicher (inkl. Hochwasserschutz) und -filter, beides Voraussetzungen für die Trinkwassergewinnung, Kohlenstoffspeicherung, Bodenbildung, Erosionsschutz und Erholung.
Was muss geschehen, damit wir in Zukunft noch Wald sehen?
Als erstes müssen nach Schätzung von Fachleuten aufgrund der Waldschäden in Deutschland in den nächsten Jahren mehr als 5.000 Quadratkilometer Waldfläche (4,4% der Waldfläche) wiederbewaldet werden, denn diese Fläche ist bereits tot. Mit Fichte, Buche und Eiche ist der größte Teil der restlichen Waldfläche akut bedroht.
Durch die Klimakrise verschwindet als erstes die Fichte. So wurden beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zwischen 2018 und 2024 bei der Fichte drei Fünftel des Holzvorrats als Schadholz eingestuft. Für die Fichte wird es zu trocken und zu warm, was die Borkenkäfer ausnutzen können. Die Fichte wird man in Zukunft nur noch deutlich oberhalb von 1.000 Metern antreffen, also in Deutschland fast nirgends. Doch auch für Buche (meist Rotbuche) und Eiche (meist Stieleiche) wird es eng, ihre Kronenverlichtung übertrifft den der Fichte sogar noch leicht.
Inzwischen reicht zur Rettung der Wälder auch nicht mehr nur der Ersatz abgestorbener Flächen, sondern ein mehr oder weniger schneller Umbau mit anderen Baumarten wird nötig. Den Wald, den wir kannten, wird es so nicht mehr geben. Daher hat die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in einem Projekt zur klimadynamischen Vegetation eine Projektion der potenziell natürlichen Vegetation für das Jahr 2070 vorgenommen. Sie beschreibt eine naturnahe, standortgerechte Baumartenwahl zwischen optimistischen und pessimistischen Szenarien, die man ‚Der Mensch schafft eine Reduktion der Treibhausgase‘ bis zu ‚Er kriegt es nicht hin, die Emissionen steigen weiter an‘ nennen könnte.
Das optimistische Szenario sieht bis zum Jahr 2070 vor: den Ersatz von Fichten- und Eichen-Hainbuchen(misch)wälder durch Buchen(misch)wälder und in trockenen Lagen den Ersatz der Buchen(misch)wälder durch Flaumeichen(misch)wälder.
Das pessimistische Szenario (2070) sieht Buchen(misch)wälder nur noch in höheren Lagen. Dagegen müssten drei Viertel des heutigen Waldes durch mediterrane Flaumeichen(misch)wälder ersetzt werden. Und in einem Gürtel vom Niederrhein bis nach Schleswig-Holstein müssten mediterrane Hartlaubwälder aufgebaut werden.
In beiden Szenarien verschwinden Fichten- und Tannenwälder fast vollständig. Wichtig wird daher, einen möglichst gemischten Wald aufzubauen, der eine große Baumartenvielfalt aufweist, so dass je nach Szenario am Schluss immer noch ein Wald existieren sollte. Die in Deutschland heute vorherrschenden Baumarten werden weitgehend verschwinden und sich in ökologische Nischen zurückziehen. Für die Zukunftssicherheit der Wälder und ihrer oben beschriebenen Ökosystemleistungen ist ein aktiver und schneller Waldumbau daher unumgänglich. Der natürliche Übergang von einer Waldgesellschaft zu einer anderen braucht allerdings mehrere hundert Jahre. Die Klimakrise ist aber schneller. Beim jetzigen Tempo der Klimaänderungen bräuchten wir alle 40 Jahre eine andere Waldgesellschaft. Sollte die Klimakrise allerdings zu einem Abbau des Golfstroms führen, sieht die Zukunft noch einmal anders aus.
Die heutigen Forderungen des Naturschutzbund Deutschland NABU, 15 Prozent der Waldfläche Deutschlands sollen der natürlichen Waldentwicklung vorbehalten sein und Bäume müssen wieder alt werden dürfen, scheinen jedenfalls bereits veraltet zu sein.
Mit den derzeitigen Ressourcen an Menschen, Forschung und Geld wird das nicht zu bewerkstelligen sein. So sagte eine Schweizer Försterin neulich in einer Fernseh-Dokumentation, sie seien eigentlich nur noch am Aufräumen – durch die Schäden durch Trockenheit, Sturm und Lawinen kämen sie zu anderen Aufgaben nicht. In Deutschland stehen heute ca. 90 Milliarden Bäume, das macht deutlich, was das für eine Aufgabe ist, es geht um ein Drittel der deutschen Landesfläche, es geht um 114.000 Quadratkilometer. Machbar ist das. Aber es ist sehr viel Arbeit.
Während des Umbaus werden einige der genannten Funktionen des Waldes beeinträchtigt sein, denn die meisten Bäume werden jung sein. Und Bäume sind nur das eine, offen ist die Frage, wie das Ökosystem als Ganzes reagiert, denn in den heutigen Wäldern leben mehrere Tausend Tier- und Pflanzenarten. Was machen diese beispielsweise in den neuen Flaumeichenwäldern? Sollen die für ihn typischen Mikroben, Insekten etc. auch importiert werden? Wie lange braucht es, bis ein solch neues Ökosystem auf den hierzulande anderen Böden stabil wird? Ist Stabilität bei einem schnellen Klimawandel überhaupt möglich?
Welchen Wald besuchen wir im Jahr 2070?
Wenn der Umbau gelingt und sich ein neues ökologisches Gleichgewicht einstellt, skizziert sich ein Wald, wie wir ihn im Jahr 2070 sehen werden. Vom Hochwald mit vielen großen Bäumen, viel Schatten und Kühle werden wir uns verabschieden müssen. Bis es wieder so ähnlich aussieht, braucht es mindestens 80 Jahre. Die wahrscheinlich entstehenden Flaumeichen- und Hartlaubwälder sehen anders aus als wir das kennen. Sie sind viel niedriger (weil der Wald neu ist, und weil Flaumeichen nur halb so hoch werden wie Stieleichen), sie sind auch offener, auch weil es nicht alle Baumarten schaffen werden. Vielleicht wird es auch mehr Buschwald geben. Von oben und von weitem sind die neuen Wälder grauer, weniger homogen und nicht mehr so grün. Der Schwarzwald wird also kaum noch schwarz sein. Die neuen Wälder sind Trockenwald-Ökosysteme, wie sie heute auf der Schwäbischen Alb, im Kaiserstuhl oder in Norditalien anzutreffen sind. Die Sommer werden sich darin ebenso anfühlen, statt Frische und Schatten wird es trockenwarm, es knistert und staubt. Hitzeperioden werden weniger abgeschwächt, Trinkwasser wird es weniger geben, Überschwemmungen werden wahrscheinlicher, Flüsse wie der Rhein werden häufiger zwischen Hoch- und Niedrigwasser schwanken. Ohne einen weitgehend kompletten Umbau des Waldes würde es allerdings noch viel übler.
Also, geht jetzt nochmal in den Wald, am besten nach einem Regen, und vergesst die Sonnenbrille nicht.
Quellen
https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/waldzustandserhebung-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=9
https://www.wald-und-holz.nrw.de/fileadmin/Wald_in_NRW/250102_waldzustandsbericht_nrw_2024_kurz.pdf
https://www.bmel.de/DE/themen/wald/wald-in-deutschland/wald-trockenheit-klimawandel.html
https://wald.fnr.de/wissen/wissenswertes/artikel/baumartenwahl-im-klimawandel
https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/waelder/grundsatzprogramm.html
https://www.forstwirtschaft-in-deutschland.de/wald-im-klimastress/klimawandel/
https://www.bmel.de/DE/themen/wald/klimaangepasstes-waldmanagement.html
Dieser Beitrag von Dr. Heiko Behrendt stammt aus der aktuellen Ausgabe 26 des T&Emagazins.

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