Halbtoter See mitten in Europa
Man muss gar nicht so weit fahren, um einen sterbenden See zu sehen. Vielen bekannt ist der in Kasachstan und Usbekistan liegende Aralsee, der, früher so groß wie Bayern, bis heute auf ein Achtel seiner Fläche geschrumpft ist und etwa 90 % seines Wassers verloren hat. Er produziert heute statt Fisch nur noch salzigen Staub, welcher die Landwirtschaft in seiner Umgebung unmöglich gemacht hat. Hier war und ist es der Anbau von Baumwolle an seinem Hauptzufluss, dem Amudarja, der den See schon lange nicht mehr erreicht. In vielen unserer Kleidungsstücke steckt ein Teil dieses Sees.
Weniger bekannt ist der Tschadsee, den sich Tschad, Kamerun, Nigeria und Niger teilen. Er hat ebenso viel Wasser verloren wie der Aralsee, hier vor allem durch den stetigen Rückgang der Niederschläge in seinem Einzugsgebiet im letzten halben Jahrhundert.
Von einem sterbenden See in Europa hatte ich bis zu diesem Sommer nichts gewusst, bis wir nach Nordmazedonien aufgebrochen sind und ihn gesehen haben, den Prespasee, der zum größten Teil in Nordmazedonien, dessen südlicher Teil aber in Albanien und Griechenland liegt. Wir, meine Frau und ich, haben dieses Jahr eine Reise zum Ohridsee unternommen, einem wahnsinnig schönen See in der Südwestecke Nordmazedoniens, von dem etwa ein Drittel zu Albanien gehört. Wir sind natürlich nicht geflogen, sondern wollten die Städte und Landschaften von hier bis dort sehen. Das ging gut elektromobil mit dem Zug bis Zagreb, doch von dort mussten wir bis Ohrid mit dem Bus reisen, da Serbien seinen überregionalen und internationalen Bahnverkehr eingestellt hat.
Vom Ohridsee aus wollten wir auch den Prespasee sehen, der nur zehn Kilometer entfernt auf der anderen Seite eines kleinen Gebirges liegt. Er sah auf der Landkarte genauso vielversprechend aus. Schon von oben bot sich ein schöner Anblick. Auffällig war nur, dass weder ein Schiff noch ein Boot zu sehen waren. Unten angekommen, in Stenje, an seiner Ostseite, wurde es noch merkwürdiger. An die kleine Uferpromenade des Dorfes schwappte kein Wasser mehr, eine alte Steganlage aus vergangener Zeit stand weiter draußen inzwischen im Trockenen, ihre Bretter verrottet, der Zutritt verboten. Hölzerne kleine Türmchen, von denen aus früher die Badenden überwacht wurden, waren auf der einen Seite 100 Meter vom ehemaligen Ufer entfernt, auf der anderen Seite 100 Meter vom heutigen Ufer. Zwei mit Aluminium verkleidete Neubauten, wahrscheinlich sollten darin einmal ein Restaurant oder eine Bar entstehen, gefördert unter anderem von der EU, standen leer und geschlossen als ‚weiße Elefanten‘ hoch am Strand herum. Menschen waren fast keine zu sehen, vier oder fünf badeten weit unten im See. Der Anblick war trist. Was war hier los? Am Abend recherchierte ich im Internet.
Ich fand ein paar Fachartikel und stellte fest, dass der See in der Fachwelt ein Thema ist. Der Prespasee ist etwa halb so groß wie der Bodensee. Seit den 50er Jahren wird er immer kleiner und hat inzwischen elf Meter Tiefe und allein zwischen 1984 und 2020 18,9 Quadratkilometer (7 %) an Oberfläche eingebüßt. Das klingt nicht sehr viel, aber da er nicht sehr tief ist, ist inzwischen 54 % des Volumens verlorengegangen. Das führt wiederum dazu, dass der Nährstoffeintrag hauptsächlich aus der Landwirtschaft und der Schadstoffeintrag aus Müllkippen auf ein immer kleineres Volumen trifft. Nähr- und Schadstoffe nehmen im See zu. Touristen, die im See baden wollen, treffen zunehmend auf Schlick und Algen, weshalb am Prespasee quasi kein Tourismus mehr stattfindet. Und im Süden des Sees, einem der letzten Brutplätze des Pelikans in Europa, ist sein Vorkommen bedroht.
Wie kam es dazu? Der unterirdische Abfluss Richtung Ohridsee scheint sich aufgrund von Messungen nicht wesentlich verändert zu haben und kommt nicht in Frage. Der Hauptgrund für das Sterben des Sees sind die 35 Millionen Kubikmeter Wasser, welche die Landwirtschaft der drei Anrainerstaaten dem See jährlich entnimmt. Es werden damit Felder und Obstplantagen rings um den See bewässert. Auch wurden in der Seeregion viele Brunnen für die Bewässerung gebohrt. Ist eine Ressource wie Wasser für alle verfügbar und kostet die Nutzung nichts (öffentliches Gut), führt dies in der Regel zu Übernutzung und Verschwendung.
Ist oder wird die Ressource übernutzt, wird sie zuerst knapp und irgendwann zerstört. In der Ökonomie bezeichnet man diesen Vorgang als Allmendeproblem; eine Allmende ist historisch zum Beispiel eine Dorfwiese oder ein Wald, der von allen genutzt werden darf, was aber dazu führt, dass jeder Nutzende sie so viel wie möglich nutzt. Alle zusammen bedrohen deren Erhalt. Dass drei Anrainerstaaten sich den See teilen, erschwert eine effiziente Nutzung. Ein anderes Beispiel ist unsere Atmosphäre, denn auch der Klimawandel verknappt die ‚Ressource‘ Prespasee. Die mittleren Jahresniederschläge im Einzugsgebiet scheinen zwar nicht abgenommen zu haben, aber die Zunahme der Niederschläge im Winterhalbjahr und die Abnahme im Sommerhalbjahr (Vegetationsperiode) führt zu mehr Verdunstung, was wiederum den Bedarf an Bewässerung erhöht. Auch steigt die mittlere Temperatur in der Region kontinuierlich an.
Unzureichende Versuche, den See zu retten, gibt es seit langem. Zwar wurde eine gemeinsame Erklärung von Nordmazedonien, Griechenland und Albanien im Jahr 2000 unterzeichnet. Doch dauerte es zwanzig Jahre (!), bis eine Expertengruppe eingerichtet wurde, die sich aber bis 2023 noch nicht getroffen hat. Hier scheint sich auch der jahrelange Streit zwischen Mazedonien und Griechenland auszuwirken, der erst beigelegt wurde, nachdem Mazedonien, um beim EU-Beitritt weiterzukommen, nachgegeben hat und jetzt Nordmazedonien heißt und eine andere Flagge hisst. Das Abkommen wurde sogar am Prespasee unterzeichnet.
Griechenland hatte den Verdacht, dass Nordmazedonien die griechische Region Makedonien beanspruchen könnte, weil es historisch mal ein Makedonien gab, dass beide Gebiete (und ein Teil von Bulgarien) umfasste. Mazedonische Nationalisten hatten eine entsprechende Landkarte veröffentlicht.
Wirklich aktiv ist das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Die UN trainiert Bauern darin, mit weniger Wasser auszukommen, was immerhin zu einem um 60% verringerten Bedarf dieser Bauern geführt hat. Auch wird versucht, die Müllkippen an den Zuflüssen in den Griff zu bekommen, aus denen Nährstoffe und Umweltgifte in den See gespült werden. Hier ist die EU mit Geld und Experten aktiv, weil Griechenland Anrainer und Nordmazedonien Beitrittskandidat ist. Im Juli 2024 hat immerhin das erste Mal ein Forum getagt, dass sich mit der Entwicklung der Prespa-Region beschäftigt hat.
Im Ergebnis könnte man sagen, der Prespasee ist der Aralsee Europas, ein langsam sterbender See. Im Unterschied zum Aral- und Tschadsee tut Wikipedia so, als gäbe es am Prespasee kein Problem. Er ist einfach zu unbekannt. Vielleicht schafft es die EU, einen See zu retten, bevor er von der Landkarte verschwindet.
Der Beitrag stammt aus der Ausgabe 24 des T&Emagazins die gegen Übernahme der Porto- & Versandkosten hier bestellt werden kann.
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