Christoph Reichelt hat Industrial Design studiert und 1990 mit einer Fahrzeugstudie abgeschlossen. Nun hat er sich das Tesla Model 3 vorgenommen und dessen Design analysiert. Im Nachfolgenden seine Erkenntnisse:
Das Model 3 ist nun schon nicht mehr ganz neu. Es ist im Alltag angekommen, und man hört bereits Stimmen, die sein Design als durchschnittlich, gewöhnlich und unspektakulär bezeichnen. Ein Gewöhnungseffekt ist eingetreten. Die Qualität einer Formgebung zeigt sich aber nicht in den ersten Monaten, wenn das Design frisch ist und ungewohnte Elemente sich in den Vordergrund der Wahrnehmung spielen. Ob ein Design gut ist, sieht man daran, wie gut es altert.
1. Der Stil: Europäisch
statt amerikanisch
Teslas Chefdesigner Franz von Holzhausen, trotz seines Namens Kalifornier von Geburt an, hat mit dem Model 3 ein klassisches, elegantes und „europäisches“ Design geschaffen, eine Form, die den Werken der Carrozziere der 60er Jahre viel näher ist als den amerikanischen Dreamcars.
Warum hat sich Tesla für dieses Design entschieden? Die Antwort könnte darin liegen, dass man zum einen etwas Langlebiges schaffen wollte, um Vertrauen in die neue Technik zu fördern (das war schon beim Model S die Strategie) – und zum anderen, dass auch in den USA klassische europäische Autos als aufregend und begehrenswert gelten. So ist das Tesla Model 3 zum Beispiel dem Porsche 911 formal enger verwandt als der Corvette. Das ist natürlich auch eine Sache des guten Geschmacks. Brutales, ostentatives Design passt nicht zur Zielgruppe der Menschen, die ihre Kaufentscheidungen sorgfältig abwägen und ihre Umwelt (und den eigenen Einfluss darauf) bewusst reflektieren.
Beim Design des Model 3 wurde also auf den schnellen, kräftigen Effekt verzichtet. Das Fahrzeug wirkt bemerkenswert zurückhaltend, elegant und selbstverständlich. Hier fehlt jeder plakative Gestus. In einem Umfeld, in dem praktisch jedes Produkt mit einer ausgeprägten Kraftmeierei gestaltet ist, wirkt das Model 3 dadurch seltsam verletzlich. Es löst eine Art Beschützerinstinkt aus: Man weiß, dass es richtig so ist, wie es ist – aber man hat zugleich Sorge, dass das nicht verstanden, akzeptiert und respektiert wird. Aber dem steht die gnadenlose und makellose Leistungsfähigkeit des Model 3 gegenüber – es ist in Wirklichkeit alles andere als verletzlich oder schwach.
Formal italienisch-britisch, ist das Model 3 in der konzeptionellen Gesamtauffassung eher französisch-avantgardistisch. Wie schon beim Model S handelt es sich um ein Hatchback, also das, was wir als Fließheck bezeichnen. Der erste wegweisende Vertreter dieser Gattung kommt aus Frankreich: Es war der Renault 16 von 1965. Bei der Gestaltung dieses Autos stand im Vordergrund, einen angenehmen und gut nutzbaren Raum für den Menschen zu schaffen. Prof. Tuminelli nennt diese Sorte von Autos der 60er und 70er Jahre „Intellectual Car“. Sie haben große Fensterflächen, flexible, luftige Innenräume und die Technik nimmt so wenig Volumen wie möglich in Anspruch. Fügt man diesem Rezept eine ordentliche Portion Sportsgeist hinzu, dann erhält man etwas, das auch heute noch gefallen kann.
Apropos Sportsgeist: Das eigentliche Vorbild aller Teslas in Sachen sportlich-elegantem Auftritt ist der Aston Martin DB. Das umgekehrte Trapez an der Front, die kräftigen, über den großen Rädern breit ausgestellten Schultern, das knappe, in einem Bogen gespannte Greenhouse, das kurze, knackige Heck – alles das sind formale Merkmale, die Aston Martin kultiviert hat, und derer sich Tesla bedient. Bei der Aneignung tun die Tesla-Designer jedoch zwei Dinge: Sie verschieben die Proportionen so, dass der Mensch mehr und die Technik weniger Platz bekommt als beim Supersportwagen. Und sie schärfen die Linienführung so stark, dass ein superpräziser, sehr kontrollierter Eindruck entsteht, was durch die intelligent gemachten Fugenverläufe noch unterstützt wird.
2. Die Proportion:
Gegen die Elephantiasis
In den letzten Jahren sind unsere Fahrzeuge immer größer geworden. Damit das Klassensystem des Automarktes nicht durcheinander kommt, hat man dabei, insbesondere bei Fahrzeugen der „kleinen“ Klassen, die Details mitwachsen lassen. Das führte zu immer größeren Türgriffen, riesigen Heckleuchten, breiten Fenstersäulen und insgesamt immer grobschlächtiger werdenden Dimensionierung. Da diese einzelnen Elemente (und das gilt besonders für Bedienelemente) nicht komplexer oder solider geworden sind, handelt es sich inzwischen oft um hohle, leere Formen, die nicht gemäß ihrer Funktion dimensioniert sind, sondern gemäß ihrer optischen Wirkung im Kontext des Gesamtfahrzeuges. Das ist technisch sinnlos, haptisch nicht immer angenehm, aber es hilft, die Elephantiasis unserer Fahrzeuge zu tarnen. Stellt man eines dieser „modernen“ Autos neben eine der edlen automobilen Skulpturen der 60er und 70er Jahre, dann sehen sie tatsächlich aus, als hätten sich die Maßstäbe ins Monströse verschoben.
Das Model 3 ist von diesem Symptom frei. Es ist geradezu zierlich und dabei substanziell. Es würde neben einem MGB oder einem E-Type von 1965 nicht „off scale“ wirken. Trotzdem kann es zum Beispiel neben einem A5 von heute bestehen. Model 3 hat ein menschliches Maß und Dimensionen, die nicht auf die Wirkung in der fotografischen Reproduktion, sondern auf die Verfügbarkeit im Alltag hin optimiert sind.
Das Gesamtbild? Möglicherweise ergibt es sich aus einer Sammlung der Adjektive, mit denen ich das Tesla
Model 3 in diesem Text bezeichnet habe: vertraut, selbstverständlich, dezent, zurückhaltend, elegant, verletzlich, leistungsfähig, zierlich und substanziell.
3. Die Detaillierung:
Gespannte Ruhe
Das Model 3 ist also ein sportliches Hatchback mit präziser Linie und viel Raum für den Menschen. Das Akkupaket gab einen gewissen Radstand und eine Spurbreite vor und um auf diese Basis ein relativ leichtes, bezahlbares Fahrzeug zu stellen, war ein Fließheck mit kurzen Überhängen praktisch unumgänglich.
Und durch diese Vorgabe wurde es möglich, ein klassisches Design zu machen, das nicht durch extreme Details Aufmerksamkeit erregt, sondern durch eine stimmige Coolness überzeugt.
Die Linienführung am Model 3 zeigt eine starke Betonung des Vorderrades. Praktisch alle Seitenlinien laufen auf seine Mitte zu, sogar die oberhalb der Radausschnitte verlaufende Akzentlinie auf der Schulter wird mittels des dreieckigen Blinkers an ihrem Beginn noch dorthin umgelenkt. Normalerweise wird auf diese Weise das angetriebene Vorderrad bei Fronttrieblern betont. Unabhängig von der Antriebsart kann man so aber auch den Eindruck von Lenkpräzision und Agilität vermitteln, etwas, das bei allen Teslas zu den wichtigsten Eigenschaften zählt. Außerdem wird durch diese Betonung des Vorderrades die Kürze der Front optisch kompensiert. Und das kleine Drama aus Lichtkanten und Leuchtengrafik, das sich an der Front des Model 3 abspielt, trägt ebenso dazu bei, die Front zu betonen und ihr Gewicht zu verleihen.
Im Gegensatz dazu ist das Heck ex-trem ruhig gestaltet. Hierdurch wird das große Volumen, welches das Model 3 über der Hinterachse trägt, optisch verringert.
Nun könnte man meinen, ein Auto mit schwerem Heck und zierlicher Front würde in der Seitenansicht unproportioniert aussehen. Das ist hier nicht der Fall. Die Tesla-Designer sind das Risiko eingegangen, das Volumen des Fahrzeugs möglicherweise aufgebläht und pummelig wirken zu lassen und haben den Dachbogen in einer großen, gleichmäßigen Kurve angelegt. Dieser große, ununterbrochene Schwung über dem Körper hilft, alle gestalterischen Einzelelemente zusammenzufassen und harmonisch auszubalancieren. Da diese Kurve ebenfalls auf der Mitte des Vorderrades beginnt, wird auch das abgesetzte vordere Volumen mit in diese Geste integriert. Verstärkt wird die Wirkung dieses Schwungs dadurch, dass das Dach des Model 3 komplett aus Glas besteht, das ohne Querträger oder Fuge von der Heckklappe über die Köpfe der Fondpassagiere hinweg bis zur B-Säule reicht. Das ist eigentlich ein typisches Showcar-Feature, hat aber bei diesem Fahrzeug tatsächlich den Weg in die Serie geschafft,
und zwar aus Gründen, die mit dem Package und den Platzverhältnissen auf den Rücksitzen zu tun haben.
Obwohl das Model 3 als Hatchback gestaltet ist, fehlt ihm die große Heckklappe. Der technische Grund dafür liegt in der erwähnten großen Glasfläche, die von Höhe der B-Säule bis zum Kofferdeckel reicht. Diese Gestaltung macht eine Heckklappe unmöglich, es sei denn, man würde diese ebenfalls an der B-Säule anschlagen, was eine riesige, schwere Klappe und schwierige Dichtungsprobleme zur Folge hätte.
Versteht man das Model 3 als Reise- und Businessfahrzeug, dann gibt es noch ein anderes Argument für diese Lösung. Hierzu blicken wir wieder kurz nach Frankreich. Alle großen Citroën-Fahrzeuge seit der DS hatten, obwohl sie ein Fließheck hatten, einen Kofferraumdeckel, keine große Heckklappe, um eine klare Trennung von Passagieren und Gepäck zu erhalten. Man könnte also argumentieren, dass der „kleine“ Tesla als Limousine funktioniert, obwohl er wie ein Hatchback aussieht. Trotzdem hat er umklappbare Rücksitzlehnen, ein ordentliches Ladevolumen und bietet die Möglichkeit, ein Fahrrad oder ein 7 Fuß langes Surfboard zu transportieren. Der Fugenverlauf dieser Klappe ist so gestaltet, dass er den Schwung der Seitenlinie linear fortsetzt, ein sehr edles Detail, das bei jedem anderen Hersteller dem Rotstift zum Opfer fallen würde. Tesla hat hier eine sicher nicht populäre Entscheidung getroffen, die aber hilft, die Gesamtqualität des Fahrzeugs, vor allem was den Komfort und die Platzverhältnisse für die Passagiere betrifft, zu verbessern und die zugleich ein sehr aufregendes Design-Detail in Form des Panoramadaches hinten bietet.
Auch damit steht das Model 3 eher in der Tradition europäischer Autokunstwerke der 60er Jahre als dass es dem modernen Ideal der Multifunktionalität und Versatilität entspräche: Es ist konsequent, elegant und zurückhaltend. Wir werden das in einigen Jahren verstehen: Hier steht ein Revoluzzer im Gewand eines Klassikers.
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Der Beitrag ist erschienen im T&Emagazin, Ausgabe 6. Interessierte, die das Heft bequem zuhause im Briefkasten haben wollen, können es gegen Übernahme der Versand- und Portokosten über den T&Eshop anfordern. Wer zum Weiterverteilen 5, 10 oder auch 20 Hefte haben möchte, kann bequem entsprechende Pakete ordern. Zudem besteht die Möglichkeit, das T&Emagazin in Wunschmenge dauerhaft zu abonnieren.
Weitere Themen der Ausgabe 6 des T&Emagazins sind:
ABC der Elektromobilität von Martin Hund
Tesla – Tesla Model 3 Treffen am 17.5.2020 in Hilden?
Tesla – Teslas Battery and Powertrain Investors Day von Christian Brockmann
Tesla – Tesla Schalldämmung von Sabrina Dremel
Tesla Welt – News des Quartals von David Reich
Die Herausgeber – Tesla Fahrer und Freunde e.V.
Tesla – Fahrsicherheitstraining von Lars Hendrichs
Die Herausgeber – E-Auto-Rennsport im TOCH
Tesla – Nikolas (8 Jahre) im Tesla von Martin Haudenschild
Elektroauto Guru – Bekommen wir einen Blackout? von Nino Zeidler
E-Mobilität – Wie man für die Ladung zahlt von Andreas Neumann
Early Adopter – Pionier Louis Palmer
E-Mobilität – Vom Lambo zum Model 3 Nico Pliquett
E-Mobilität – Vom Ioniq zum Model 3 Electric Dave
Tesla – Church of Tesla Alexander Nassian
Tesla – Fahrevent in Schweden von Bernd Donner
Fahrbericht – JAC e-S2 versus Fiat 500e von Dana Blagojevic
Fahrbericht – eCorsa von Youness Schadt
E-Mobilität – Seed & Greet
E-Mobilität – Erst Tesla und jetzt Corona von Thorsten Ludwig
Erneuerbare Energien – § 14a-Stromtarif von Ulrich Setzermann
Fanboy – Tesla Model Y von Gabor Reiter
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