Teil 2
Die Idee des autonomen Fahrens fasziniert Ingenieure, Wissenschaftler und Autofahrer seit Jahrzehnten. Was einst als Science-Fiction galt, entwickelt sich zunehmend zur Realität.
Martin Hund hat für das T&Emagazin eine Bestandsaufnahme gemacht, die wir an dieser Stelle und in einem ersten Teil in der vergangenen Woche veröffentlichen. Der komplette Beitrag ist in der Ausgabe 26 erschienen die in Wunschmenge gegen Übernahme der Porto- und Versandkosten bestellt werden kann.
Wie funktioniert ein neuronales Netz?
Neuronale Netze sind inspiriert vom menschlichen Gehirn. Sie bestehen aus vielen künstlichen „Neuronen“, die in Schichten organisiert sind.
Ein typisches Netz hat drei Hauptbereiche:
Eingabeschicht:
Hier fließen die Rohdaten ein – z.B. ein Kamerabild.
Verborgene Schichten:
In diesen „Hidden Layers“ findet die eigentliche Verarbeitung statt. Jedes Neuron analysiert bestimmte Merkmale – etwa Kanten, Formen oder Bewegungen.
Ausgabeschicht:
Das Netz gibt eine Entscheidung aus – etwa „rote Ampel erkannt“ oder „Kind läuft auf die Straße“.
Das Netz lernt durch sogenanntes Training:
Es wird mit vielen Beispielen gefüttert und passt intern seine Gewichtungen an, bis es möglichst korrekte Ausgaben liefert. Dieses Lernen erfolgt meist über das sogenannte Backpropagation-Verfahren mit einem Optimierungsalgorithmus.
Während das Training außerhalb des autonomen Autos im äußeren Regelkreis stattfindet, wird das fertig trainierte neuronale Netz als ausführbare Software per Update auf das Fahrzeug übertragen. Dort kommt es dann im inneren Regelkreis zum Einsatz bei der Erfassung der Situation und (bei Tesla seit Software FSD V13) beim Entscheiden der Reaktion.
Wo stehen die führenden Player?
Während sich viele Unternehmen mit der Theorie und Entwicklung autonomer Fahrzeuge beschäftigen, haben einige Hersteller und Tech-Firmen bereits konkrete Systeme auf die Straße gebracht – mit ganz unterschiedlichen Philosophien und Ergebnissen. Hier ein Überblick über die aktuellen Projekte der wichtigsten Akteure:
Waymo – Die Pioniere aus dem Silicon Valley
Waymo, ein Tochterunternehmen von Alphabet (Google), gilt als einer der weltweit führenden Anbieter im Bereich des vollautonomen Fahrens. Bereits seit über einem Jahrzehnt forscht das Unternehmen an Robotaxis. Waymo setzt auf ein umfangreiches Sensor-Setup aus Kameras, Radar und hochauflösendem Lidar. Die KI wird mit Millionen Kilometern Testdaten trainiert.
In Phoenix (Arizona) bietet Waymo bereits seit 2020 einen fahrerlosen Robotaxi-Service an – aktuell vollständig ohne Sicherheitsfahrer. Auch in San Francisco und Los Angeles werden Testflotten betrieben. Waymo verfolgt vollautonomes Fahren in definierten Einsatzgebieten (sog. Geofences), insbesondere im urbanen Raum.
Cruise – Aufbruch mit Rückschlägen
Cruise, eine Tochterfirma von General Motors, verfolgt ein ähnliches Ziel wie Waymo, musste jedoch zuletzt erhebliche Rückschläge hinnehmen. Auch Cruise setzt auf eine breite Sensorfusion mit Lidar, Radar und Kameras. Die Fahrzeuge sind rein elektrisch (basierend auf dem „Origin“-Fahrzeug).

In San Francisco wurden bereits fahrerlose Fahrten durchgeführt. Nach einem schweren Unfall mit einem Fußgänger im Jahr 2023 wurde Cruise jedoch regulatorisch stark eingeschränkt und der Betrieb in mehreren Städten wurde vorübergehend eingestellt. Nach einer umfassenden Überprüfung und Umstrukturierung konzentriert sich Cruise nun auf Sicherheitsverbesserungen und einen vorsichtigen Neustart.
Tesla – Vision-Only und der Glaube an Level 5
Tesla verfolgt einen radikal anderen Weg als die meisten anderen Akteure im Markt: Statt auf Sensorfusion setzt Elon Musks Unternehmen vollständig auf Kameras und neuronale Netze. Teslas „Full Self-Driving Supervised“ (FSD) ist ein Fahrassistenzsystem, das aktuell in Nordamerika verfügbar ist. Es basiert rein auf Kameradaten und wird per Over-the-Air-Update ständig weiterentwickelt. Tesla strebt vollautonomes Fahren (Level 5 „Unsupervised“) auf allen Straßen an, ohne Geofence, dafür mit massiver Datensammlung im Alltag von Millionen Nutzern. Die Europäische Software-Variante des Autopiloten ist funktional stark eingeschränkt und wird zurzeit von den Regulierungsbehörden untersucht.
FSD „Supervised“ ist bisher rechtlich nur ein Assistenzsystem (Level 2). Während manche Experten bezweifeln, dass Vision-only-Systeme den hohen Anforderungen an Sicherheit und Redundanz gerecht werden können, arbeitet Tesla daran, bereits im Jahr 2025 einen autonomen Flotten-Service auf Basis des angekündigten Fahrzeugs „Cybercab“ in Betrieb zu nehmen.
Mercedes-Benz – Premium mit Zulassung
Mercedes-Benz war der erste Hersteller, der ein zertifiziertes Level-3-System für den öffentlichen Straßenverkehr anbietet.
Seit 2022 ist der „Drive Pilot“ in Deutschland und den USA (Kalifornien und Nevada) verfügbar – allerdings nur auf bestimmten Autobahnabschnitten und bei Geschwindigkeiten bis 60 km/h. Das System kombiniert Kamera, Radar, Lidar, Ultraschall und präzises GPS. Es erlaubt dem Fahrer, sich in bestimmten Situationen von der Fahraufgabe zu lösen – ein echter Meilenstein in der Regulierung.
Mercedes strebt mittelfristig Level-4-Systeme für urbane Shuttle-Fahrzeuge an – in Kooperation mit Partnern wie Bosch oder NVIDIA.
BMW – Schritt für Schritt mit internationaler Ausrichtung
Der Autohersteller BMW verfolgt beim autonomen Fahren einen vorsichtigen, aber langfristig ambitionierten Kurs. BMW bietet aktuell auch Fahrassistenzsysteme bis Level 3 an („Personal Pilot“) – mit Funktionen wie automatischem Spurwechsel oder teilautonomem Fahren auf der Autobahn.
Zusammen mit dem Halbleiterhersteller Qualcomm wird eine skalierbare Plattform für höhere Automatisierungsstufen entwickelt.
In China plant BMW den Einsatz weiterentwickelter Level-3-Systeme. Für Europa sind ähnliche Schritte in Vorbereitung – allerdings mit starkem Fokus auf regulatorische Freigaben.
Staatliche Regulierung
Die Einführung autonomer Fahrzeuge wird maßgeblich durch gesetzliche Rahmenbedingungen beeinflusst. Während in den USA ein eher flexibler, marktorientierter Ansatz verfolgt wird, setzt Europa auf eine stärker regulierte und sicherheitsorientierte Strategie.
USA: Föderale Leitlinien und staatliche Freiheiten
In den Vereinigten Staaten gibt es keine einheitliche, landesweite Regulierung für autonomes Fahren. Stattdessen legt die National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) Leitlinien fest, während die einzelnen Bundesstaaten eigene Regelungen erlassen. Dies führt zu einem Flickenteppich an Vorschriften.
Kalifornien ist besonders streng und verlangt umfangreiche Tests und Genehmigungen, bevor autonome Fahrzeuge auf die Straße dürfen. Arizona hingegen hat einen besonders liberalen Ansatz gewählt, was Player wie Waymo dazu veranlasst hat, dort frühe Testprogramme für fahrerlose Taxis zu starten. In Texas sind Tests und kommerzieller Betrieb ebenfalls ohne einen menschlichen Sicherheitsfahrer an Bord erlaubt.
Da die USA insgesamt eine innovationsfreundliche Regulierung bevorzugen, sind dort bereits zahlreiche autonome Testflotten im Einsatz. Allerdings fehlt eine übergreifende gesetzliche Grundlage, was zu Unsicherheiten für Hersteller und Betreiber führen kann.
Europa: Einheitliche, aber strengere Regulierung
Die Europäische Union verfolgt einen stark regulierten Ansatz mit dem Fokus auf Sicherheit, Datenschutz und Haftungsfragen. Die wichtigsten Entwicklungen:
• 2022 verabschiedete die EU die ersten Rahmenbedingungen für autonome Fahrzeuge mit der Verordnung über automatisierte und vollautomatisierte Fahrzeuge (EU 2022/1426). Diese erlaubt den kommerziellen Betrieb von Level-4-Fahrzeugen unter bestimmten Bedingungen. Deutschland ist Vorreiter in der EU und hat bereits 2021 ein Gesetz erlassen, das autonome Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr erlaubt – allerdings nur in bestimmten geografischen Gebieten (z.B. für Shuttle-Dienste).
• Die EU setzt im Gegensatz zu den USA stark auf Datenschutz (DSGVO) und Cybersicherheit, was höhere Anforderungen an Hersteller stellt. Gleichzeitig soll die einheitliche Regulierung langfristig für mehr Rechtssicherheit sorgen.
Die Rolle der UNECE bei der Regulierung
Die United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) spielt eine zentrale Rolle bei der Regulierung des autonomen Fahrens in Europa. Sie ist eine der wichtigsten Organisationen für die Harmonisierung internationaler Fahrzeugvorschriften und hat direkten Einfluss auf die Gesetzgebung der Europäischen Union sowie vieler anderer Länder weltweit.
Die UNECE verwaltet das Übereinkommen über das Straßenverkehrsrecht (Wiener Übereinkommen von 1968), das ursprünglich vorschrieb, dass ein Fahrer jederzeit die Kontrolle über ein Fahrzeug haben muss. Diese Regel wurde jedoch in den letzten Jahren angepasst, um automatisierte Fahrsysteme zu ermöglichen.
Das UNECE-Gremium World Forum for Harmonization of Vehicle Regulations (WP.29) erarbeitet technische Vorschriften für Fahrzeuge, die von über 50 Ländern (darunter alle EU-Staaten, Japan und zunehmend auch China) übernommen werden. Zwei entscheidende Regelungen sind:
UN-Regelung Nr. 157: Erlaubt automatisierte Spurhaltesysteme (ALKS) bis zu 130 km/h für Fahrzeuge mit Level 3.
UN-Regelung Nr. 155 und 156: Betrifft Cybersicherheit und Over-the-Air-Updates für vernetzte Fahrzeuge – zentrale Anforderungen für autonome Systeme.
Da die EU eng mit der UNECE zusammenarbeitet, orientiert sich ihre Regulierung stark an den WP.29-Beschlüssen. Das bedeutet, dass technische Standards und Sicherheitstests für autonome Fahrzeuge weitgehend international abgestimmt sind.
Bedeutung für Tesla
Während FSD „Supervised“ in den USA bereits auf öffentlichen Straßen im Einsatz ist, wartet Europa bislang vergeblich auf die Einführung. Doch nun mehren sich die Anzeichen, dass 2025 zum entscheidenden Jahr für Teslas FSD „Supervised“ in Europa werden könnte.
Der Durchbruch für die Einführung sollte eigentlich schon 2023 durch die UNECE-Regel UN R157 erfolgen. Doch sie war in ihrer Anwendung so restriktiv, dass Teslas FSD nicht darunterfiel.
Daher folgte eine neue Initiative – die UN Regelung Nr. 171 – ein regulatorischer Rahmen für „Dynamically Controlled Assistance Systems (DCAS)“. Diese Regel sollte explizit Systeme wie FSD „Supervised“ abdecken – allerdings wurde im März 2025 der Entwurf in letzter Minute von Ländern wie den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Königreich gestoppt. Die offizielle Begründung lautet, dass das Risiko einer „Übervertrautheit“ der Fahrer mit dem System zu groß sei.
Gleichzeitig eröffnet sich ein alternativer Weg über den Artikel 39 der EU-Typgenehmigungsverordnung. Dieser erlaubt Ausnahmegenehmigungen für neue Technologien – vorausgesetzt, Systeme sind nachweislich mindestens so sicher wie ein menschlicher Fahrer. Tesla verfolgt diesen Ansatz konsequent. Der Schlüssel liegt in den Niederlanden, hier ist nicht nur der Sitz von Teslas europäischem Hauptquartier. Hier sitzt auch die zentrale Zulassungsstelle RDW (Rijksdienst voor het Wegverkeer). Tesla hat bereits umfangreiche Testdaten eingereicht, unter anderem aus Norwegen, wo eine erste Ausnahmegenehmigung bereits erteilt wurde. Beide Länder verfügen über eine hohe Tesla-Dichte und ähnliche Infrastrukturen: ideale Testfelder für FSD. Sollte die RDW grünes Licht geben, könnte FSD „Supervised“ noch in Frühjahr 2025 auf niederländischen Straßen zugelassen werden. Der weitere Weg wäre dann offen: Mitgliedstaaten könnten entweder die niederländische Entscheidung übernehmen oder auf die Abstimmung der Europäischen Kommission im Mai 2025 warten. Ein positiver Bescheid wäre ein entscheidender Meilenstein für die gesamte Branche. Er würde nicht nur den Markteintritt vorbereiten, sondern auch die EU-Gesetzgebung indirekt vorantreiben. Ein regulatorisches Wettrennen ist entbrannt: UNECE vs. EU-Kommission.
Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft
Die Einführung autonomer Fahrzeuge wird weitreichende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Die Automobilhersteller müssen sich Kompetenzen in den Bereichen Software-Entwicklung, Sensorik und künstliche Intelligenz aneignen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig wird sich das Geschäftsmodell grundlegend ändern: Statt Fahrzeuge an Endkunden zu verkaufen, werden Unternehmen verstärkt zu Mobilitätsdienstleistern. Autonome Fahrzeuge könnten von Herstellern oder spezialisierten Betreibern vermietet werden, anstatt in Privatbesitz zu sein.
Da autonome Fahrzeuge deutlich effizienter genutzt werden können als herkömmliche Autos, wird prognostiziert, dass nur noch etwa 20 % der heutigen Fahrzeuganzahl benötigt wird. Dies hätte massive wirtschaftliche Auswirkungen: Hersteller, Händler und Werkstätten könnten drastische Umsatzeinbußen erleiden und müssten neue Geschäftsmodelle entwickeln. Gleichzeitig könnten die Kosten für Endverbraucher sinken, da der Wegfall des Fahrers zu geringeren Betriebskosten führt. Dadurch könnten autonome Fahrzeuge in direkte Konkurrenz zum öffentlichen Nahverkehr treten, der sich seinerseits durch fahrerlose Konzepte weiterentwickeln und seine Kostenstruktur optimieren könnte.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Das autonome Fahren könnte die Mobilität für viele Bevölkerungsgruppen erhöhen, insbesondere für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Zudem wird sich der Individualverkehr stark verändern: Ein Führerschein könnte überflüssig werden und das Auto als Statussymbol an Bedeutung verlieren. Das wird auch zahlreiche Arbeitsplätze betreffen, insbesondere im Bereich des Personen- und Gütertransports (Taxifahrer, Lkw-Fahrer und andere Berufskraftfahrer).
Ein wesentlicher Vorteil autonomer Fahrzeuge ist die erhebliche Reduzierung von Verkehrsunfällen, da menschliches Fehlverhalten als Hauptursache eliminiert wird. Dies könnte nicht nur Leben retten, sondern auch gesellschaftliche Kosten durch Unfälle und Verletzungen erheblich senken.
Auch das Stadtbild wird sich wandeln: Da deutlich weniger Fahrzeuge benötigt werden, können viele Parkflächen wegfallen. Dies könnte zu einer Umgestaltung von Städten führen, in denen mehr Raum für Grünflächen, Fußgänger und alternative Nutzungen geschaffen wird. Städte könnten lebenswerter und nachhaltiger werden.
Herausforderungen
Datenschutz und Cybersicherheit sind kritische Themen, da autonome Fahrzeuge eine enorme Menge an Daten sammeln, die vor Missbrauch geschützt werden müssen. Zudem besteht die Gefahr von Hackerangriffen auf vernetzte Fahrzeuge, was schwerwiegende Sicherheitsrisiken mit sich bringen könnte.
Ethische Fragen: Wie sollen autonome Fahrzeuge in kritischen Situationen entscheiden? Wer trägt die Verantwortung bei einem technischen Versagen? Diese und weitere regulatorische Fragestellungen müssen gelöst werden, bevor autonomes Fahren flächendeckend Einzug in den Alltag halten kann.
Insgesamt könnte das alles, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig verändern. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie schnell und in welchem Umfang sich diese Transformation vollzieht. Doch aufhalten lässt sich diese Bewegung nicht mehr.

Die aktuelle Ausgabe 26 des T&Emagazin kann jetzt in Wunschmenge gegen Übernahme von Porto und Versandkosten bezogen werden.
Aus dem Inhalt der Ausgabe 26:
- Titelthema: Autonomes Fahren
- Das neue Tesla Model Y
- Tesla-Fanboy bleiben?
- Neuigkeiten zum Event: elektrische Community (19. bis 21.9. in Fulda)
- ÖPNV-Test, dank Führerschein weg…
- Welchen Wald sehen wir morgen?
- USA-Reisebericht: Auf den Spuren von Tesla und SpaceX
- Überall Greenwashing
- Tesla läuft geradeaus
- Aktuelle E-Auto Tests
- …