Erst einmal vorab zur Kenntnis: Ich bin kein Autojournalist. Auch wenn mancher Mensch vermuten mag, dass ich als Verleger einer Zeitschrift, die sich unter anderem des Themas der Elektromobilität ausführlich annimmt für diese Rolle prädestiniert ist, muss ich das strikt von mir weisen. Da fehlt mir die Kompetenz. Ich schildere nachfolgend ein Erlebnis, welches nicht auf besonderer Fachkenntnis beruht; vielmehr auf einer ganz normalen Probefahrt basiert. Die persönliche Begeisterung für vierrädrige Mobilität mit elektrischem Antrieb mag ich zwar nicht leugnen und wer mich kennt, weiß, dass ich eine gewisse Affinität für eine amerikanische Automarke in nunmehr achtjähriger Praxis herausgebildet habe. Gelegentliche Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen anderer Hersteller führen tatsächlich bei mir zu bestenfalls mildem Lächeln und zuweilen regelrecht unverhohlener Ablehnung. Zu viele Knöpfe, zu viel sinnloser Schnickschnack, zu wenig Leistung, zu wenig Konnektivität… einfach fern ab von dem, was ich von Tesla kenne und ich mir heute vorstellen kann: für mich persönlich, mein Fahrprofil und meine Alltagsnutzung.
Vor einigen Monaten hat eine Probefahrt mit dem Polestar 2 bei mir einen kleinen Dammbruch ausgelöst. Ich fand das Fahrzeug gar nicht schlecht, obwohl es kein Tesla war. Und nun am Wochenende schon wieder so ein Erlebnis: der NIO ET7 überraschte mich. Auch wenn das Fahrzeug erst kürzlich von Chris von Car Maniac in einem Onlinebeitrag fürs T&Emagazin in höchsten Tönen gelobt worden war. Auf den Beitrag meines kompetenten Autojournalisten-Kollegen mag ich an dieser Stelle gerne verweisen.
Nicht nur, dass sie mich die Limousine von außen ziemlich ansprach, sie gefiel mir auch von innen und verhalf mir zu einem sehr positiven Fahreindruck. Als Tesla-User waren die hier offensichtlich an der Tesla Menü-Führung angelehnten Bedienungen intuitiv verwendbar. Kurz darf ich aber erst mal meckern: einen Frunk – sprich einen vorderen Kofferraum fand ich nicht vor. Das Erste, was ich mir nach dem Außeneindruck nämlich zeigen ließ, war das was sich unter der „Motorhaube“ befand, beziehungsweise eben nicht. Die zweite Innenansicht: die winzige Kofferraumklappe hinten – Tesla Model 3 like – beherbergt einen vergleichsweise winzigen Kofferraum und meine Hoffnung, wenigstens einen weiteren darunter vorzufinden erwies sich als Trugschluss.
Hier gab es lediglich ein schubkastengroßes Werkzeugfach zu entdecken.
Anders der Insassenraum: Selbst auf der Rückbank tolle Beinfreiheit und auch der Kopf hätte auf einem noch mal deutlich höher gewachsenen Menschen sitzen können. Darüber ein beachtliches Panoramadach, selbstverständlich mit UV-Schutz.
Auch vorne alles wunderbar bequem. Auch hier ein maximaler Blick gen Himmel. Die hervorragende Verarbeitungsqualität des optisch wie haptisch gelungenen Interieurs lies den ersten Eindruck, der durch den nicht vorhanden Frunk und extrem kleinen Kofferraum geprägt war in regelrechtes Erstaunen schwinden. So etwas erwartet Mensch ganz klar im Luxussegement in der Oberklasse. Hier ist wohl dieses chinesische Fahrzeug angesiedelt. Ausgesprochen bequeme Sitze auf allen Plätzen, „veganes“ Leder, Sitzheizung, Sitzbelüftung und Massagefunktion.
Ein Hingucker: Holzelemente die nach Angabe des NIO-Mitarbeiters aus Ratan gefertigt werden. Der Werkstoff nennt sich Karoon. Letztlich sei das Material als ökologische Variante zu Kunststoff gedacht. Wertiger und nachhaltiger. Weitere Verkleidungen und die Sitze sind aus „veganem“ Leder. Verbaut sind Alcantara, angenehm anzufassende weiche Kunststoffe…
Als das Fahrzeug dann auch noch mit mir über die Autobahn brauste und ich dank bester Dämmung und Luftfederung ein ausgesprochen ruhiges Fahrgefühl erleben konnte, einen Autopiloten, der diesen Titel zu Recht trägt und die bedienerfreundlichen Instrumente ausprobierte war ich wirklich angetan.
Ob die Massagefunktion, insgesamt drei auswählbare Duftaromen unter Schnickschnack fallen mag jede:r für sich selbst entscheiden. Mir gefiel es. Auch das einigen vielleicht albern erscheinende Sprachassistentssystem Nomi mit dem sich den Sprecher:innen zuwendenden kleinen Köpfchen über dem Zentralbildschirm finde ich witzig. Elf Acht-Megapixel High-Resolutionkameras überwachen innen wie außen und erstmals fuhr ich ein Fahrzeug mit dem von Tesla als überflüssig eingestuften Lida-System.
Nomi hat mich nicht immer verstanden, versprach mir aber lernen zu wollen und aktivierte beispielsweise brav die Massage-Funktion des Sitzplatzes, von dem aus es angesprochen wurde. Verschiedene Fahrmodi ermöglichen eine Beschleunigung von bis zu 3,9 Sekunden auf 100 km/h und eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 200 km/h. Da kann sich mach anderer Elektro-Autohersteller eine Scheibe von abschneiden. Auch im direkten Vergleich mit dem eher ruppigen Fahrgefühl im Tesla Model 3 ist das mit 5,10 Metern eigentlich in der Liga Model S platzierte Fahrzeug ein sanfter Riese. Unterm Strich bleibt: Wer den Passagieren bequemes Reisen ermöglichen möchte, ist hier richtig aufgehoben.
Coffeurs-Limosine preiste mir der freundliche NIO-Mitarbeiter das Fahrzeug an – zu Recht. Wer ohne oder mit wenig Gepäck unterwegs sein kann könnte hier eine automobile Heimat finden.
Zu guter Letzt durfte ich auch noch von der Beifahrerposition einem Batteriewechsel beiwohnen, an einer der bisher zwei Stationen in Deutschland am Seed&Greet in Hilden. Ein beindruckender Vorgang. Das Fahrzeug wurde per Autoparkfunktion in den Container manövriert und verabschiedete sich mit ein wenig gepolter von der ursprünglichen Batterie.
Die Stromversorgung wurde dabei logischerweise deaktiviert und alsbald wurde eine neue Batterie aus dem über 13 Plätze verfügenden Depot unter den NIO geschoben, in nur wenigen Minuten. Für mich als Praktiker der Elektromobilität im Tesla, der durchaus mal mehr als eine halbe Stunde an der Schnellladesäule steht eine neue Erfahrung. Eine die mit der grauen Vergangenheit an der Zapfsäule zeitlich mithalten kann. Brauche ich das? Eher nein. Braucht das irgendwer? Es zu können, wenn Eile geboten ist, setzt voraus, dass allerorts derartige Stationen stehen. Ob NIO diese in Europa adäquat ausrollt, könnte neben dem Erfolg der Marke von anderen Aspekten abhängig sein. Können andere Fahrzeughersteller das Batteriewechsel-Angebot implementieren und kommt wie mir ein NIO-Techniker in Hilden versichert das Feature Sektorenkopplung dazu? Das heißt, neben Fahrzeugen könnten auch andere lokale Stromabnehmer die Batterien nutzen. Zukunftsmusik. Jedenfalls spannende Eindrücke, die ich da gewinnen durfte.
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Die Themen:
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