Künstliche neuronale Netze – 1. Teil
Künstliche Intelligenz ist längst keine ferne Zukunftsvision mehr. Sie steckt in Sprachassistenten, Fotokameras, Suchmaschinen – und zunehmend auch in Fahrzeugen. Einer der zentralen Bausteine dieser Entwicklung sind sogenannte künstliche neuronale Netze. Sie bilden das Fundament vieler moderner KI-Systeme und erlauben Maschinen, Muster in Daten zu erkennen, Zusammenhänge zu lernen und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen. Im Leitartikel der Ausgabe 28 des T&Emagazins beschreibt Martin Hund den Stand der Dinge. An dieser Stelle veröffentlichen wir den Beitrag als Zweiteiler.

Tesla nutzt solche Netze in seinen Fahrzeugen, um die Umgebung zu analysieren, Verkehrsverhalten zu interpretieren und das Auto sicher durch den Straßenverkehr zu steuern. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Prinzip? Warum sind neuronale Netze so leistungsfähig – und worin unterscheiden sie sich vom menschlichen Gehirn, das sie nachahmen sollen?
Wie ein neuronales Netz funktioniert – die Schulklasse der stillen Post
Um zu verstehen, wie ein neuronales Netz arbeitet, hilft eine einfache Analogie. Man stelle sich eine Schulklasse vor: Mehrere Reihen von Schülern sitzen hintereinander. Die Schüler in der letzten Reihe erhalten ein Bild oder einen Begriff – zum Beispiel ein Foto von einer Katze. Sie dürfen aber nicht sprechen, sondern müssen das Gesehene mit Zeichen oder kurzen Notizen an die nächste Reihe weitergeben. Diese interpretiert, ergänzt oder korrigiert die Information und gibt sie wieder weiter, Reihe für Reihe, bis die erste Reihe schließlich eine Antwort aufschreibt: Katze – 98 % wahrscheinlich.
So in etwa funktioniert ein künstliches neuronales Netz. Jede „Reihe“ entspricht einer Schicht von Neuronen, die Informationen verarbeitet und an die nächste weitergibt. Jeder „Schüler“ steht für ein einzelnes Neuron, das Eingangssignale bewertet, gewichtet und in veränderter Form weiterleitet. Das „Stille-Post-Spiel“ läuft millionenfach parallel ab – jedes Neuron ist über viele „Verbindungen“ (Gewichte) mit den anderen verknüpft. Wenn der Lehrer nach jeder Runde Rückmeldung gibt, wie gut das Ergebnis war, und die Schüler daraus lernen, welche Zeichen nützlich waren und welche nicht, entsteht ein Lernprozess.
Genau das passiert auch beim Training eines neuronalen Netzes: Es bekommt unzählige Beispiele gezeigt, vergleicht die eigenen Ergebnisse mit den richtigen Antworten und passt die Verbindungen schrittweise an. Mit der Zeit wird es immer besser darin, Muster zu erkennen – so wie die Schulklasse, die irgendwann sicher weiß, wann eine Katze zu sehen ist und wann nicht.
Menschliches & künstliches Lernen – mehr Gemeinsamkeiten als man denkt
Die Idee künstlicher neuronaler Netze orientiert sich am menschlichen Gehirn – und tatsächlich gibt es erstaunliche Parallelen.
Auch in unserem Kopf verarbeiten Milliarden von Neuronen Signale, verstärken oder hemmen sie und bilden durch ihre Verbindungen komplexe Muster. Diese Muster bestimmen, wie wir Reize wahrnehmen, Entscheidungen treffen oder Gefühle empfinden.
Man kann also sagen, dass auch unser Denken und Fühlen letztlich auf Mustererkennung und Verarbeitung beruht – wenn auch in einer unvorstellbar komplexen, chemisch-elektrischen Form. Emotionen und Verstehen entstehen durch die Aktivierung bestimmter Netzwerke, ähnlich wie beim künstlichen Pendant. Der Unterschied liegt vor allem im Umfang und in der Art der Verschaltung.
Während das menschliche Gehirn mit etwa 20 Watt Leistung auskommt und flexibel auf neue Situationen reagiert, benötigen künstliche Netze enorme Rechenleistung und große Datenmengen, um zu lernen. Sie sind hochspezialisiert: Ein Netz, das Katzen erkennt, kann nicht automatisch auch Musik komponieren.
Dennoch zeigen die Parallelen, dass Intelligenz – ob biologisch oder künstlich – in ihrer Grundstruktur immer auf Vernetzung und Lernen aus Erfahrung beruht.
Vom Programmieren zum Trainieren – ein Paradigmenwechsel
In der klassischen Softwareentwicklung – dem sogenannten prozeduralen Programmieren – folgt der Computer exakt definierten Befehlen. Ein Entwickler legt Schritt für Schritt fest, was das System tun soll. Für jedes Szenario existiert eine Regel: Wenn die Ampel rot ist, dann halte an. Wenn der Abstand zu klein wird, dann bremse. Solche Programme sind transparent, vorhersehbar und relativ leicht zu prüfen. Man kann genau nachvollziehen, an welcher Stelle im Code eine Entscheidung getroffen wird.
Bei einem neuronalen Netz hingegen gibt es keine Zeile, die das Anhalten an einer roten Ampel vorschreibt. Das System wird nicht programmiert, sondern trainiert. Es bekommt unzählige Beispiele gezeigt – Ampeln bei Tag und Nacht, bei Regen, aus verschiedenen Blickwinkeln, mit reflektierenden Schildern im Hintergrund – und lernt daraus, Muster zu erkennen. Das Wissen entsteht nicht durch Regeln, sondern durch Gewichtungen in einem Netz aus Millionen Verbindungen zwischen künstlichen Neuronen.
Gerade beim autonomen Fahren zeigt sich, warum dieser Ansatz überlegen ist. Im Straßenverkehr gibt es praktisch unendlich viele mögliche Situationen: unterschiedliche Straßenverläufe, Wetterbedingungen, Lichtverhältnisse, Baustellen, unerwartetes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Jede dieser Konstellationen exakt zu beschreiben und prozedural zu programmieren, wäre unmöglich – der Code würde Milliarden von „Wenn–Dann“-Anweisungen enthalten und trotzdem nicht alle Situationen abdecken. Ein neuronales Netz dagegen kann aus Erfahrung Verallgemeinerungen bilden. Es erkennt Muster, kombiniert sie mit Kontextwissen und ist in der Lage, auch in unbekannten Situationen plausible Entscheidungen zu treffen – etwa, wenn eine neue Verkehrssituation auftaucht, die im Training so nie vorkam.
Der Vorteil: Das System bleibt flexibel und kann sich an die Vielfalt der realen Welt anpassen.
Der Nachteil: Die Entscheidungswege sind nicht mehr direkt nachvollziehbar.
Man kann nicht einfach im Code nachsehen, warum das Netz in einer bestimmten Situation bremst oder weiterfährt. Das Verhalten ergibt sich aus dem Zusammenspiel unzähliger mathematischer Parameter – eine Art „Black Box“, die nur über ihr Ergebnis beobachtet werden kann. Für Behörden und Prüforganisationen ist das ein völlig neuer Prüfgegenstand. Während klassische, regelbasierte Programme Schritt für Schritt getestet und zertifiziert werden können, entziehen sich lernende Systeme dieser Logik. Wie bewertet man ein System, das nicht nach festgelegten Regeln arbeitet, sondern aufgrund seiner gelernten Erfahrung Entscheidungen trifft? Und wie lässt sich sicherstellen, dass es auch in Situationen richtig reagiert, die es während des Trainings nie gesehen hat? Diese fehlende Transparenz ist einer der Hauptgründe, warum sich viele Zulassungsbehörden bislang schwer tun, neuronale Netze regulatorisch zu bewerten. Sie markieren den Übergang von einer programmierten zu einer gelernten Intelligenz – ein fundamentaler Wandel, der nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftliche und rechtliche Konsequenzen hat.
Beim autonomen Fahren wird dieser Unterschied besonders deutlich. Denn hier entscheidet die KI nicht über abstrakte Daten, sondern über physische Bewegung in der realen Welt. Tesla gehört zu den Herstellern, die diesen Ansatz konsequent verfolgen – mit einem System, das ständig lernt, sich verbessert und die Ergebnisse dieses Lernens direkt auf die Straße bringt.
Der 2. Teil des Artikels erscheint hier in der kommenden Woche.
Zum Autor:

Und das sind die Themen der Ausgabe:
- Editorial Wir sind nicht mehr allein.
- Zahlen und Einschätzungen des Veranstalters der elektrischen COMMUNITY
- Neues aus der Tesla Welt
- Die Herausgeber: Tesla Fahrer und Freunde e.V.
- Die Herausgeber: Fusion der Schweizer Tesla Clubs
- Schweizer Tesla Owners in Südostasien
- Cybertruck-Roadtrip durch USA & Canada
- Impressionen von den Bereichen der elektrischen COMMUNITY 2025
- Bei Besucherzahlen verkalkuliert: Es geht jetzt um die Wurst
- Beschenke Dich doch einfach mal (oder zur Not auch wen anders)
- Diskussionsprogramm 2025 auf YouTube
- elektrische COMMUNITY auch 2026 in Fulda
- Strombock: E-Mobilität in der Mietwohnung: Laden ohne Wallbox-Chaos
- Aktuelle und kommende E-Fahrzeuge im einfach elektrisch Test
- Strom aus der Landwirtschaft – Flächen-Doppelnutzung
- Wie Maschinen lernen zu sehen & zu entscheiden – Künstliche neuronale netze
- Kommentar zur KI: „Wir sind nicht mehr allein.“
- Erfahrungen mit dem chinesischen Markt: „Wettbewerb intensiver, Spielräume enger“
- Fanboy Kolumne von Gabor Reiter: Model Y Standard – günstig statt billig




