Projektwerkstatt im Niedrigenergie-Hochhaus

Foto: Timo Schadt

Hans-Peter Sunkel, von Beruf Landwirt, hat sich seit Jahrzehnten auch dem Thema Erneuerbare Energien verschrieben. Photovoltaik-Anlagen auf verschiedenen Gebäuden und die energetische Optimierung beschäftigen ihn. Er besucht deutschlandweit Fachmessen und liest viel zum Thema. Dabei realisiert er nicht etwa Maßnahmen von der Stange, sondern macht sich Gedanken über technische Abwandlungen und experimentiert – mit dem Ziel, Wirkungsgrade zu verbessern und Grenzen des bisher Machbaren zu überschreiten.

Vor fünf Jahren ist er ein besonderes Projekt angegangen: ein Hochhaus in Bad Hersfeld energieneutral zu machen. Um seine Ideen dafür umzusetzen, möchte er Fachfirmen und Ingenieure hinzuziehen. Das fällt nicht leicht, denn die technischen Grenzen werden von vielen viel früher gesehen als von ihm. Gegen zahlreiche Widerstände hat Sunkel das Niedrigenenergie-Hochhaus weit vorangebracht. Doch noch ist nicht alles so, wie es am Ende sein soll. Seit 1. Juli hat er einen neuen Mieter: Den Förderverein Kultur und Umweltbildung e.V. Der will im siebten Stock eine Projektwerkstatt realisieren.

 

Vom Schwesternwohnheim zum Energie-Hochhaus

Das achtstöckige Hochhaus in der Bad Hersfelder Gotzbertstraße wurde 1972 als Appartementhaus für Personal des angrenzenden Klinikums Bad Hersfeld errichtet. Vor sechs Jahren bot es der Landkreis Bad Hersfeld-Rotenburg, bis dahin Eigentümer des Objekts, wegen großen Renovierungsaufwandes, unter anderem Schäden an der Fassadenverkleidung und Unwägbarkeiten bei den Kosten der Sanierung, zum Kauf an.

2015 kauften Hans-Peter Sunkel und sein Bruder das Objekt. Sie hatten die Idee, es mit einer großen Photovoltaikanlage auch an der Fassade zu bestücken und es langfristig in ein Null-Energie-Haus umzubauen, wie Sunkel erzählt:„Energieerzeugung war von Anfang an der zentrale Bestandteil meiner Überlegung“. Hierzu hat das T&Emagazin bereits in seiner ersten Ausgabe berichtet.

 

Die Projektwerkstatt FREIraum

Der gemeinnützige Förderverein Kultur- und Umweltbildung e.V. will im Gebäude eine Projektwerksstatt mit Begegnungs- und Veranstaltungsflächen betreiben. Genutzt werden dafür vor allem ehemalige Bildungsräume des Schwesternwohnheims. Im zentralen Raum sollen Vortragsveranstaltungen, Tagungen, Filmvorführungen und Seminare mit bis zu 100 Personen durchgeführt werden.

Nach Vorstellungen des Vereins können hier zukünftig, Begegnungen stattfinden sowie Sitzungen von Arbeitskreisen wie „bunt statt braun“ oder der regionalen Historiker-Projektgruppe „Zeitsprünge“. Aber auch anderen Gruppen soll eine multifunktionale Nutzung möglich sein, abgerundet durch eigene Bildungsangebote des Vereins.

Entstehen soll darüber hinaus eine Reparaturwerkstatt sowie ein Umsonstladen mit Kleidertausch, wo gebrauchte, aber noch gute Klamotten und Alltagsgegenstände, zum Beispiel aus Haushaltsauflösungen, zweitverwertet werden können.

In einer alten Druckerei in der Badestube 20 in Bad Hersfeld war dies bereits als FREIraum in den vergangenen 6 Jahren unter anderen räumlichen Bedingungen umgesetzt.

Die Einrichtung hat sich zu einer festen Institution mit breiter Anerkennung in der Stadtgesellschaft entwickelt. Doch sollen die bisherigen Räume nun kernsaniert und in Wohnparzellen umgebaut werden. Viele Wochen war die Projektgruppe des gemeinnützigen Fördervereins daher auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Nun hat sie einen passenden Ort gefunden.

Vieles soll in ähnlicher Form am neuen Standort aufgegriffen werden. Neues kommt hinzu.

Laut Vorstandssprecher Timo Schadt böten die großzügigen Räumlichkeiten ein spannendes Umfeld und „vor allem ausreichend Platz, viele der Ideen aus dem alten FREIraum mitzunehmen und zugleich neue zu entwickeln“.

Als Highlight sollen Hochbeete entstehen, in denen sogenanntes „Vertical Farming“ stattfindet. Unter von Photovoltaik überdachten ehemaligen Freiflächen können Gemüse und Früchte angebaut und von Bewohnern des Hauses, aber auch anderen Besuchern der Einrichtung, geerntet werden. Ebenso gemeinsames Kochen und Verzehren sind Ideen für das von Hans-Peter Sunkel unterstützte Projekt.

Auf der einen Seite sollen die in Metall eingefasst Hochbeete errichtet werden. Hier wird eine Projektgruppe Pflänzchen ausbringen, pflegen und letztlich Ernten. Auf der anderen Seite sollen Sitz- und Arbeitsflächen entstehen. Hier kann unter Einbeziehung der angeschlossenen kleinen Küche geschnippel,  gekochtund verzehrt werden, mit dem was auf der anderen Seite angebaut wurde. Außerdem soll hier unter Auslassung eines großzügigen Fluchtwegs ein ebenfalls in Metall eingefasster Pflanzkübel errichtet und in ihm eine Zwischenwand aus Vegetation gepflanzt werden. Dieses „grüne Trennwand“ soll einen Bereich abgrenzen, der für Dauer- und Wander-Ausstellungen genutzt werden kann.

Der FREIraum ist ein Mitmach-Projekt. Das bisherige Team ist dabei breit aufgestellt. Menschen mit 12 Nationalitäten, junge Menschen wie Betagte, viele mit körperlichen und psychischen Einschränkungen, konnten sich bislang einbringen und sollen auch am neuen Standort mitwirken können. Timo Schadt hat jedoch die Hoffnung, dass sich viele weitere Leute aktivieren: „Das Schöne ist, wenn Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft ihre unterschiedlichen Fertigkeiten und ihr Wissen einbringen und alle davon profitieren können. Das hat sich bewährt ist aber natürlich noch steigerbar und dieser Ort bietet dafür viele Möglichkeiten.“ In zwei Vorbereitungstreffen kamen weitere Ideen auf: Improvisantionstheater, ein Band-Übungsraum, Vorschläge für Vortragsveranstaltungen, eine Computer-Werkstatt… alles ehrenamtlich, alles von Menschen für andere Menscchen und auf Augenhöhe.

Das nächste Vorbereitungstreffen findet am Montag, den 17. August 2020 um 19:00 Uhr im 7. OG des Hochhauses statt (Gotzbertstraße 64, Bad Hersfeld).

Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte kann unter dem Stichwort “Projektwerkstatt” dafür folgende Bankverbindung nutzen:

IBAN DE02 5325 0000 0000 0020 15 | BIC: HELADEF1HER | Sparkasse Bad Hersfeld-Rotenburg – Spenden können – auf Grund der gemeinnützigkeit des Förderverein Kultur und Umweltbildung e.V. – steuerlich abgesetzt werden.

 

Planung und Sanierung

Nach dem Kauf des Schwesternwohnheims ging es bei Hans-Peter Sunkel sogleich mit der energetischen Sanierung los. Ziel war, dass die Umsetzung innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein sollte. Als Probleme erwiesen sich die Berechnung der Statik sowie letztlich das Anbringen der Photovoltaik-Module mit Dübeln. Es war keine übliche Maßnahme. Nach Schilderung des Bauherren wollte keiner die Verantwortung dafür übernehmen.

Das Haus war beim Kauf in einem schlechten baulichen Zustand, Feuchtigkeit trat in die Waschbetonplatten ein. Viele Ingenieure trauten sich aufgrund der Substanz des Hauses nicht, die Planung in die Hand zu nehmen und den Traum von Hans Peter Sunkel umzusetzen. Einer wollte gar die Unsumme von fast 90.000 Euro für die Planung. Durch hartnäckige Suche fand Sunkel letztendlich doch einen Ingenieur, der die Verantwortung mittragen wollte und die Planung deutlich günstiger realisierte.

 

Maßnahmen zur energetischen Sanierung

Als Maßnahmen der energetischen Sanierung wurden dreifachverglaste Fenster eingebaut.

Die Gebäudehülle wurde auf den vorhandenen Waschbetonplatten mit darunter liegenden fünf Zentimeter Polystyrolplatten zusätzlich mit 16 Zentimeter Mineralwolle gedämmt. Zur weiteren Abschirmung trägt bei, dass hinter den Photovoltaik-Modulen erwärmte Luft strömt. Sunkel bekam einen KfW-Zuschuss zur Sanierung. Noch wichtiger: Der Heizaufwand wurde deutlich reduziert.

 

Photovoltaik und Innovation

„Ich verfolge das Projekt von Anfang an und bin von den Fortschritten sehr angetan“, erklärt Timo Schadt, Sprecher des Fördervereins Kultur und Umweltbildung e.V. „Hans-Peter Sunkel hatte nicht nur den Mut, ein solches Leuchtturmprojekt anzupacken, er nimmt bürokratische Widrigkeiten und hohe Kosten in Kauf, um ein Optimum an Energiegewinnung und Einsparung zu erreichen, während sich andere sicherlich an rein betriebswirtschaftlichen Fragen entlanghangeln würden.“ Schadt kennt seit den 1980er Jahren Sunkel von gemeinsamen Naturschutzaktivitäten: „Hans-Peter hat schon immer früh innovative Technik für sich entdeckt und deren praktische Anwendung zu optimieren gesucht.“ Seit 2014 fährt Sunkel einen Tesla, also ein langstreckentaugliches E-Auto, und hat damit auch Schadt für die vollelektrische Mobilität begeistert.

Auf dem Dach sowie an der Ost-, Süd- und Westfassade befinden sich 1.258 Solar-Module mit jeweils 195 bis 265 Watt. Die Gesamtleistung beträgt 240 Kilowatt Peak. Die Solarpanels bestehen aus monokristallinen Modulen. Diese ermöglichen auch bei diffusem Lichteinfall bei bedecktem Himmel nennenswerte Erträge. Durch die Hinterlüftung kann deren Effizienz weiter gesteigert werden.

2019 wurden damit 95.277 Kilowatt Strom erzeugt. Davon wurden 64.487 kW eingespeist und 30.790 kW im Gebäude verbraucht. Der Stromverbrauch des Hauses betrug insgesamt 82.762 kW. Hier könnten durch den Einsatz von Stromspeichern noch Verbesserungen erzielt werden.

 

So sieht es ganz oben unter dem Photovoltaik-Dach aus. Hier sammelt sich die warme Luft aus dem ganzen Gebäude und wird von den Luftwärmepumpen im Hintergrund zur Energieerzeugung genutzt. Fotos: Sabrina Dremel
Hans-Peter Sunkel vor dem Gasbrennwertkessel und den Wärmespeichern im Keller.

Gaskosten von 42.000 auf 19.000 Euro gesunken

Im Haus befinden sich drei Warmwasserspeicher (zweimal 1.500, einmal 750 Liter). Es handelt sich um Hygienespeicher: Das Wasser bleibt nie stehen.

Im Heizungskeller finden sich Bleibatterien, die demnächst als Stromspeicher dienen sollen. Dort sind auch acht SMA-Wechselrichter für die Photovoltaik, ein weiterer befindet sich auf dem Dach.

Ein moderner Gasbrennwertkessel mit 86 kW hat den vormals bestehenden alten mit 400 kW ersetzt. Die Vorlauftemperatur beträgt heute nur 40 Grad Celsius. Die Gasheizung springt nur im Notfall und im Winter an, wenn die auf dem Dach installierten Wärmepumpen nicht wirtschaftlich zu betreiben sind. Die Aufwendungen für das Gas sind 2019 dadurch von 42.000 Euro vor der Sanierung auf 19.000 Euro gesunken. Auch hier gibt es laut Sunkel „noch Luft nach oben.“

Drei Luft-Wasser-Wärmepumpen mit 2 bis 20 kW sind seit Ende 2019 in Betrieb. Die Idee: Die aufsteigende Wärme hinter den Modulen der Photovoltaik-Anlage wird unter das Dach geleitet. Die dort stehenden Wärmepumpen sollen mit der Wärme den Wasserspeicher der Heizanlage temperieren. Das funktioniert leider noch nicht perfekt; der Speicher wird weiterhin oftmals noch vom Gaskessel beheizt. Durch entsprechende Einstellung der Steuerung soll das behoben werden. Sunkel erwartet dadurch weitere Kostenreduzierungen beim Gasbezug.

Weitere geplante Maßnahmen sind Wärmerückgewinnungen in den Wohnungen. Schon heute ist dies im Waschkeller beispielhaft umgesetzt. Hier sind zwei Ventilatoren im Mauerwerk eingebaut, die die Wärmerückgewinnung ermöglichen. Nach ähnlichem Prinzip soll die Wärme aus den Wohnungen nutzbar gemacht werden: Geplant ist eine Lüftungsanlage in den Appartements, die die Luftvolumenströme der relativen Luftfeuchtigkeit anpasst mit mechanischer Regeltechnik durch Materialeigenschaften.

 

Mieter zahlen Pauschale für Strom, Heizung und Wasser

Noch heute bietet das Hochhaus Wohnungen für Ärzte und Krankenpflegepersonal. Es gibt 89 Wohneinheiten mit ein oder zwei Zimmern (25 bis 35 Quadratmeter) auf 8 Etagen und insgesamt 2.000 Quadratmetern Wohnfläche. Etwa zur Hälfte sind sie an das Klinikum Bad Hersfeld vermietet, die übrigen an Privatpersonen.

Die Besonderheit: Die Mieter zahlen eine Pauschale für Strom, Heizung und Wasser, es findet keine individuelle Einzelabrechnung statt. Da so die Mieter aber wenig Aufmerksamkeit auf die Verbräuche legen, soll das geändert werden: Die Pauschale soll zukünftig lediglich einen bestimmten Verbrauch enthalten und eine Überschreitung wird dann berechnet.

Zwischenzeitlich kam es zu mehreren Brandfällen im Gebäude. Auch hierzu berichtete das T&Emagazin bereits an dieser Stelle.

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