Für Investoren sind diese Tage recht aufregend. Als erstes Automobilunternehmen durchbrach Teslas Marktbewertung Ende Oktober die Grenze von 1 Billion US-Dollar und war damit zeitweilig mehr wert als die nächsten 13 Autohersteller gemeinsam. An manchen Tagen sind die Kursschwankungen der Kalifornier größer als Daimler oder BMW wert sind. Aber auch ein anderer Elektroautohersteller wirbelte die Börse kräftig durcheinander: Der südkalifornische Hersteller Rivian, der im ersten Schwung elektrifizierte Pickups und Lieferwagen produzieren möchte, ging an die Börse. Schon am ersten Tag gelang dem Unternehmen eine Bewertung, die es auf den vierten Platz der wertvollsten Autounternehmen brachte, und spülte fast 12 Milliarden US-Dollar in die Unternehmenskassen. Und die Woche darauf katapultierte es sich sogar auf den dritten Platz hinter Tesla und Toyota, mit einer Bewertung von 146 Milliarden Dollar, 38 Milliarden mehr als Daimler wert ist, und mehr als doppelt soviel wie BMW. Selbst Volkswagen war 9 Milliarden weniger wert. All das, obwohl Rivian gerade mal die ersten 150 Pickups, den Rivian R1T, ausgeliefert hat.
Sind nun alle gaga geworden?
Was die Investoren von Rivian zu überzeugen scheint, ist das Marktpotenzial seiner Fahrzeuge. Neben den Pickups und einem für später versprochenen SUV arbeitet Rivian mit Vorrang an elektrischen Lieferfahrzeugen, die universell eingesetzt werden können. So stieg Amazon nicht nur selbst bei Rivian als Anteilseigner ein, sondern bestellte auch 100.000 Stück der neuen Lieferwagen. Und die scheinen einen bislang völlig außer Acht gelassenen Markt in Aufregung zu versetzen.
Wer die Aktivitäten des elektrischen Bäckers Roland Schüren kennt, weiß, dass vor einigen Jahren seine Anfrage nach elektrifizierten Lieferwagen von traditionellen Herstellern vollkommen ignoriert worden war. Erst als er in der Innung einen Aufruf startete und es ihm gelang, innerhalb kurzer Zeit 200 Bäckermeister, Installateure und Vertreter anderer Berufsgruppen zu sammeln, die alle an elektrischen Lieferwagen Interesse zeigten, meldeten sich die Hersteller. Doch bislang mit wenig Erfolg.
Einen Einblick, wie groß das Potenzial ist, sah man schon bei beim deutschen Streetscooter: Nachdem die Post das Unternehmen mit so viel Enthusiasmus und aus dringendem Eigenbedarf vor einigen Jahren gekauft hatte, wurde es zum Stiefkind. Auch die externe Nachfrage half nicht. Diese überstieg die Erwartungen, doch sah man sich beim Eigentümer, Deutsche Post, nicht in der Lage und im Einklang mit der eigenen Strategie, als Fahrzeugproduzent aufzutreten.
Anders bei Rivian. Der Enthusiasmus der Investoren scheint auf dieses Marktpotenzial zu bauen. Und hier liegt der Unterschied zwischen den Märkten. Während in Europa für ein Startup wie Streetscooter kaum Geld zu finden war, das helfen könnte, es zu einem ernsthaften Autohersteller aufsteigen zu lassen, gibt es in den USA ausreichend Kapital.
Es hilft nicht, mit der typisch deutschen Reaktion aus dem Bauch heraus diese Kursentwicklungen als „überzogenen Hype“ abzuwerten, der „bald krachend einstürzen wird“. Klar, für einen Kulturkreis, der stolz auf das German Engineering von Präzisionsmaschinen ist, also Dingen die man angreifen kann, muss das unverständlich sein. Was bitte sei an Tesla oder Rivian nun gar so toll? Die physische Qualität der Produkte sei nicht auf dem höchsten Stand, und die Software sei doch nicht wirklich etwas Dingliches? Strom ab, und weg ist sie.
Doch dabei liegen solche Aussagen gefährlich falsch, wie ein weiterer kalifornischer Elektroautohersteller beweist: Lucid Motors, ein im Nachbarort von Fremont beheimatetes Startup, ist ebenso erst vor wenigen Wochen an die Börse gegangen. Es liegt nun mit 72 Milliarden Dollar unter den ersten 10 der wertvollsten Autofirmen, noch vor BMW. Nicht nur begann Lucid erst im Oktober mit den ersten Fahrzeugauslieferungen, es gewann auch gleich den 2022 Motor Trend Preis für das Auto des Jahres. Speziell hervorgehoben wurde unter anderem die Verarbeitungsqualität als Preiskriterium.
Hätte ich für jeden Kommentar deutscher Manager und Experten, die ich auf Delegationsreisen und Vorträgen sagen hörte, dass „Tesla ohnehin bald pleite wäre“, einen Euro gekriegt, wäre ich heute Millionär.
Wie wichtig diese Börsenbewertungen sind, zeigte sich an einem Ereignis: Tesla verkaufte im Dezember 2020, nach einem Kursanstieg von 670 Prozent innerhalb eines Jahres auf 600 Milliarden Dollar, knapp ein Prozent seiner Anteile und spülte damit gleich fünf Milliarden Dollar in die Kasse. Und das, ohne dabei groß Stimmrechte gewähren zu müssen. Wollte beispielsweise BMW dieselbe Summe erzielen, sprächen wir von knapp zehn Prozent der Stimmrechte, die umgeschichtet werden, was automatisch Konflikte mit bestehenden Aktionären bedeutete.
Und solche Summen sind dringend notwendig, wenn wir den exponentiellen Anstieg der Elektroautozulassungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz betrachten und die damit einhergehenden Notwendigkeit, Investitionen in neue Technologien zu beschleunigen. So waren mehr als 17 Prozent aller Neuzulassungen in Deutschland im September und Oktober reine Elektroautos. Ein Jahr zuvor waren es noch acht Prozent, das Jahr zuvor 2,4 Prozent. Mit der S-Kurve, die für solche Entwicklungen typisch ist, kann erwartet werden, dass im September 2022 der reine Elektroautoanteil an Neuzulassungen bei mehr als 30 Prozent und im Sommer 2023 bei mehr als 50 Prozent liegen wird… […]
DR. MARIO HERGER lebt seit 2001 im Silicon Valley. Er forscht nach Technologietrends, verfasst Bücher und hält Vorträge und Workshops zu Themen wie autonome und elektrische Mobilität, künstliche Intelligenz, die digitale Revolution, aber auch das innovative und kreative Mindset und Foresight, um in die Zukunft zu blicken und bessere Entscheidungen zu treffen. Lange Jahre war er bei SAP als Softwareentwickler, Entwicklungsleiter und Technologiestratege beschäftigt. Nun berät er Unternehmen, wie sie den innovativen und entrepreneurischen Spirit aus dem Silicon Valley auf ihre Organisationen übertragen können, um innovativer zu werden, Trends und Tipping Points frühzeitig zu erkennen und diese mitzubestimmen. Er beobachtet auch Signale zu aufkommenden Technologietrends und wie sie die Gesellschaft, Politik oder Beschäftigungssituation beeinflussen.
Den Rest des Beitrags von Mario Herger zum Börsenhype gibt’s in der 13. Ausgabe des T&Emagazin, die am 15. Januar 2022 erschienen ist.
Neu ist: Die Zeitschrift wird fortan 68 Seiten haben. 16 Seiten mehr als bisher, gefüllt mit Berichten zu Themen der Elektromobilität und zu regenerativen Energien. Das Magazin verfügt über eine Leimbindung ist und dadurch noch schicker geworden. Zudem wurde die Auflage weiter erhöht: 30.000 Exemplare wurden diesmal gedruckt.
Ein Exemplar der Ausgabe 13 kann gegen Versandkostenübernahme hier bestellt werden.
5 Exemplare, 10 Exemplare und 20 Exemplare zum Weiterverteilen zu geringen Mehrkosten.
Die Themen der Ausgabe 13:
- Vom „Ob“ zum „Wie“
- Tesla Welt – News des Quartals
- Tesla – Gigafactory 4
- Tesla – Elon Musk beim Gigafest
- Tesla – Stammtisch bei Clubhouse
- Tesla – 4 abgefahrene Gründe, Tesla zu fahren
- Die Herausgeber – Tesla Owners Club Helvetia (TOCH)
- Die Herausgeber – Tesla Fahrer und Freunde (TFF) e.V.
- S3XY CARS Community – Weltgrößtes E-Auto-Treffen
- Elektroauto Guru – Als Wohnungsmieter das E-Auto laden
- Elektromobilität – Im Winter & im Pannenfall
- Elektromobilität – 12 Volt Batterie
- Elektromobilität – Car Maniac E-Auto-Tests
- Elektromobilität – Gebrauchte Elektroautos
- Elektromobilität – Elektrische Quads
- Innovator – Norbert Zajacs größtes Zoogeschäft der Welt
- T&Etalk – Rückblick: Junge Menschen, Zukunft und E-Mobilität
- T&Etalk – Rückblick: Giga 4
- T&Etalk – Rückblick: E-Auto vs. Bus & Bahn
- T&Etalk – Rückblick: Die Liebe zum Tesla
- T&Etalk – Rückblick: Ökostrom selber erzeugen & vermarkten
- T&Etalk – Ausblick: Aktien zu E-Mobilität & Energie
- Technophilosoph – Ohne Börsenhype keine Elektroautozukunft?
- Wirtschaft – Connected Car: Tesla, IT-Sicherheit & Datenschutz
- Wirtschaft – Ladeengpässe
- Wirtschaft – Haus-Energiewende
- Klimaschutz – Baum-Patenschaften
- Klimaschutz – Energiewende auf Porto Santo
- Reisebericht – Mit Model S & Wohnwagen nach Sardinien
- Fanboy – Gabor Reiter: Tesla-Ladefeeling für alle
- und einiges mehr