Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure fordert eine Nachschärfung des Klimaschutzprogramms bis 2030. Maßnahmen, damit Deutschland seinen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen erfülle, liegen auf dem Tisch – beispielsweise der Zulassungsstopp für neue Verbrennungsmotoren, eine CO2-basierte Kfz-Steuer und die Förderung kleiner, effizienter Elektroautos.
Kurz bevor die Bundesregierung heute ihren Klimaschutzbericht 2019 vorlegte, veröffentlichten die Verbände ein Forderungspapier. Die unterzeichnenden NGOs sind unter dem Dach des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und der Klima-Allianz Deutschland organisiert. Zu ihnen gehören besipielsweise der BUND, Campact, Greenpeace, NABU und der VCD.
Laut dem Klimaschutzbericht konnten die Treibhausgasemissionen, vor allem im Energiesektor, zwar relativ stark gesenkt werden, im Verkehrssektor nahmen sie allerdings zu.
40-Prozent-Ziel zu erreichen?
2019 sind die Emissionen von Treibhausgas um 35,7 Prozent im Vergleich zu 1990 zurückgegangen. Dies, so die Verbände, sei aber kein Ergebnis zusätzlicher klimapolitischer Anstrengungen, sondern die Folge des geringeren Energieverbrauchs im Zuge des milden Winters Das Ziel der Bundesregierung für 2020 sind 40 Prozent.
Der infolge der Corona-Krise weltweitkurzzeitig gesunkene CO2-Ausstoß nimmt jeodch bereits wieder zu, im Mai wurde die bislang höchste CO2-Konzentration in der Atmosphäre gemessen. “Wenn jetzt nicht die Weichen für einen sozial-ökologischen Umbau hin zu einer klimaneutralen Zukunft gestellt werden, wird die Corona-Krise nur ein Knick in der ungebremst ansteigenden Fieberkurve des Planeten gewesen sein”, heißt es in dem Papier.
Umweltfreundlichen Verkehr stärken, Erneuerbare ausbauen, schädliche Subventionen abbauen
Zur gleichzeitigen Bekämpfung der derzeitigen Wirtschaftskrise und der Klimakrise fordern die Verbände, die im Zuge der Corona-Krise beschlossenen Konjunkturprogramme entlang sozialer und ökologischer Kriterien nachzuschärfen, um Wirtschaft und Gesellschaft langfristig krisenfest zu machen. Eine Maßnahme dafür: Die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen und Staatsbeteiligungen müsse zum Standard für die Vergabe von Wirtschaftshilfen werden.
Zum anderen müsse die Bundesregierung konkreten Maßnahmenvorschläge für einen ambitionierten Klimaschutz umsetzen. Dadurch könne man die Lücke zum 55 Prozent-Reduktionsziel schnellstmöglich schließen und darüber hinausgehende Reduktionen im Einklang mit erhöhten europäischen Zielen erreichen. Dazu zählten die Stärkung von Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr, der massive naturverträgliche Ausbau der erneuerbaren Energien ebenso wie der Abbau aller umwelt- und klimaschädlichen Subventionen.
Die einzelnen Forderungen:
- bessere Mobilität mit weniger PKW
- hin zu grüner und bezahlbarer Wärme
- Ausstieg aus der Kohle, Wiedereinstieg in die Erneuerbaren
- klimaverträgliche statt agroindustrielle Land- und Forstwirtschaft
- eine neue industrielle Revolution vorantreiben
- CO2-Bepreisung wirksam, sozial verträglich und rechtssicher umsetzen
- klimaverträgliche Subventionen abschaffen und in eine klimafreundliche Zukunft investieren
- das Finanzwesen nachhaltig umbauen
- Klimaschutz braucht biologische Vielfalt
Kein ausreichender Beitrag zum Pariser Klimaabkommen
Zwei von der Regierung in Auftrag gegebene Gutachten hatten gezeigt, dass das Ziel der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken, mit dem im September 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramm 2030 nicht erreicht werden kann. Die Verbände sehen die prognostizierte Zielverfehlung doppelt kritisch, da selbst das Klimaziel 2030 für einen angemessenen deutschen Beitrag zum Pariser Abkommen nicht ausreicht.
„Die Maßnahmen liegen auf dem Tisch, jetzt kommt es auf eine frühzeitige und sozial gerechte Ausgestaltung und den politischen Willen an. Das Klimakabinett muss umgehend zusammentreten und dafür Sorge tragen, dass Deutschland seinen Beitrag aus dem Pariser Klimaabkommen erfüllt. Nur so kann Deutschland die europäische Ratspräsidentschaft glaubwürdig im Sinne des Klimaschutzes ausfüllen,“ fordert Dr. Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland. DNR-Präsident Kai Nieberr: „Eine Wirtschaftskrise macht keinen Strukturwandel. Nur wenn wir heute die Weichen richtig stellen, hat Deutschland eine Chance, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein“.
„Auf keinen Fall darf die Erholung der deutschen Wirtschaft auf Kosten des Klimaschutzes passieren“, sagt auch Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie, des Dachverband der Erneuerbare-Energien-Branche. „Stattdessen braucht es jetzt klare politische Weichenstellungen für eine klimafreundliche Energieversorgung, mehr Klimaschutz im Verkehr und die umfassende Sanierung des Gebäudesektors. Erneuerbare Energien sind im Strombereich schon ins Zentrum gerückt, und können zunehmend auch einen Beitrag im Wärme- und Verkehrssektor liefern.“
Zulassungsstopp für neue Verbrennungsmotoren
Statt auf motorisierten Individualverkehrs zu setzen, sollten Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV gestärkt werden, fordern die in DNR und Klima-Allianz organisierten Verbände. Neben Investitionen und gesetzlichen Vorgaben nennen sie auch Maßnahmen wie effektives Parkraummanagement sowie eine gerechte Aufteilung der Verkehrsflächen für alle Verkehrsteilnehmenden. Der Schienenverkehr müsse bis 2030 zu 100 Prozent elektrifiziert sein, wobei der Strom vollständig aus erneuerbaren Energien bestehen.
Der zeitnahe Zulassungsstopp für neue Verbrennungsmotoren müsse insbesondere beim Pkw sofort beschlossen werden. Weiterhin fordern sie, um Anreize für emissionsarme und effiziente Pkw zu setzen, die Einführung einer CO2-basierte Kfz-Steuer mit Bonus-Malus-Regelung eingeführt, die Anreize für den Kauf klimaschonender sowie effizienter Fahrzeuge setzt und Fahrzeuge mit hohem CO2-Ausstoß deutlich verteuert. Aus dem Malus könne dann die Kaufprämie für kleine, effiziente Elektroautos gegenfinanziert werden.
Der Einsatz von Wasserstoff und strombasierter Kraftstoffe solle an strikte Nachhaltigkeits- und Effizienzkriterien geknüpft werden und sollte sich im Verkehr auf schwer elektrifizierbare Sektoren wie Flug- und Schiffsverkehr konzentrieren.
Verkehr bleibt Problemsektor Nr. 1
Die Treibhausgasemissionen insgesamt sind zwar gesunken, im Verkehrssektor haben sie allerdings um 1,2 Millionen Tonnen auf 163,5 Millionen Tonnen zugelegt. Immer mehr und schwerere Fahrzeuge sind auf den Straßen (plus 1,6 Prozent), mehr Benzin und Diesel werden verbraucht.
Der verkehrspolitische Sprecher des ökologischen Verkehrsclub VCD, Michael Müller-Görnert, kommentiert dies:
„Das war zu befürchten: Der Klimaschutzbericht stellt dem Verkehrsminister ein schlechtes Zeugnis aus. Die von ihm eingeführten Maßnahmen tragen nicht dazu bei, die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen. Während andere Sektoren CO2 einsparen, sind die Emissionen im Verkehr sogar gestiegen. Der Verkehrsminister scheut sich aber davor, effektive und wirksame Maßnahmen wie etwa ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. Alleine damit ließe sich der Anstieg der Treibhausgasemissionen des Verkehrs seit 1990 um drei Millionen Tonnen kompensieren.
Jetzt zeigt sich klar, dass manche Maßnahmen aus dem Hause Scheuer zwar viel Geld kosten, für den Klimaschutz aber wenig bringen. Das Verkehrsministerium hat sich die CO2-Minderung mit Alibi-Maßnahmen schön gerechnet und unrealistische Potentiale angesetzt, etwa bei der Förderung von Fahrzeugen mit Wasserstoffantrieb, dem Einsatz von Biokraftstoffen oder Lkw mit Gasantrieb. Für wirklichen Klimaschutz ist es unerlässlich, den Autoverkehr gegenüber umweltschonenden Alternativen zu verteuern und gleichzeitig ÖPNV, Rad- und Fußverkehr zu stärken.