Der Unmögliche

Viele halten den Cybertruck für das hässlichste und unnötigste Tesla-Produkt. In den USA gibt es allerdings eine klare Präferenz für diese Fahrzeugklasse. Pickups führen seit unendlich vielen Jahren die Verkaufsstatistik an. Logisch, dass auch Tesla hier mitspielen möchte, wenn nicht sogar muss. Aber dann so?

Mit Spannung wurde der 30. November erwartet. In der Gigafactory Austin, Texas, wurden durch Tesla die ersten Exemplare der ungewöhnlichen Fahrzeuge in Kundenhand übergeben. Elon Musk, der CEO des Unternehmens, zeigte sich in Austin ausgesprochen fröhlich und gut gelaunt. Er brachte aber keine großen Überraschungen auf die Bühne mit.

Erst im Nachgang zum scheinbar bewusst auf Understatement getrimmten Event gab es viele weitere Informationen und vor allem Zahlen:

Auf der Tesla Website ist nun von einem Einstiegspreis von 60.990 US-Dollar die Rede, mit 250 Meilen Reichweite und 6,5 Sekunden in 0-60 mph (96,6 km/h), für die Einstiegsvariante. Als Auslieferungszeitpunkt ist dabei 2025 angegeben.

Die Allradversion kostet 79.990 Dollar und soll 340 Meilen weit kommen, und in 4,1 Sekunden von 0-60 mph beschleunigen. Die Auslieferung beginnt ab 2024.

Die höchste Motorisierung, das sogenannte “Cyberbeast”, soll für 99.990 Dollar zu haben sein. Es soll 320 Meilen weit fahren können. 2,6 Sekunden 0-60 mph werden hier genannt und ebenfalls eine Auslieferung ab 2024.

Interessant ist auch die erstmals für einen Tesla bestehende Option, für veranschlagte 16.000 Dollar ein zusätzliches Battery-Pack dazu zu buchen und damit die Reichweite auf mindestens 470 Meilen (756 km) zu steigern! Der „Range-Extender“ in der Größe eines Werkzeug-Kastens soll eine Batterie mit 50 kWh sein, die auf der Ladefläche untergebracht werden kann.
Noch mal zurück zum Event: Zum Auftakt der Präsentation sprach Elon Musk davon, dass der Cybertruck von so vielen als „unmöglich” bezeichnet worden sei – auch von Experten. Alle 5 bis 10 Jahre käme ein ganz besonderes Produkt auf den Markt und das sei nun hierbei der Fall. Die große Neuigkeit des Abends war: Elon Musk erklärte, dass der Cybertruck ohne direkte physische Verbindung zwischen Lenkrad und Achsgetriebe ausgeliefert würde: Steer-by-Wire ist darin umgesetzt. Dynamischer Lenkeinschlag ermöglicht beim Rangieren, ohne groß zu kurbeln, dass die Räder von einem Extrem ins andere gelenkt werden können und bei höheren Geschwindigkeiten eine hohe Feinfühligkeit. Das Lenkrad ist dabei nur noch – wie bei einer Spiele-Konsole – Signalgeber und steuert digital und nicht wie gewohnt physisch. In Kombination mit dem sogenannten Crab-Mode – bei dem auch die Hinterachse einschlägt – ist das Fahrzeug zudem überraschend wendig.

Teil der Challenge ist, dass hinter dem Steer-by-Wire-System ein relativ kraftvoller Aktor (Stellmotor) sitzen muss. Pro Achse werden 5 PS für das Einschlagen eingesetzt. Da ist es nicht nur praktisch, sondern notwendig, dass Tesla erstmals ein 48 Volt-System einsetzt, was sich beispielsweise auch auf die Bremsleistung positiv auswirkt. Das ist bei einem derart schweren Fahrzeug auch nur von Vorteil.

Als Nebeneffekt ist festzuhalten, dass deutlich weniger Kabelstränge verwendet werden; rund 70 Prozent weniger als sonst im Automobilsektor üblich. Ein Ether-Net-Kabel geht quer durchs Fahrzeug und trägt die Signalisierung von Steuergerät zu Steuergerät. Das senkt den Materialeinsatz und damit verbunden die Herstellungskosten immens. Auch der weit geringere Aufwand bei der Verlegung spielt Tesla in die Karten. Nicht zuletzt dient die hohe Wertschöpfungstiefe dazu, da Tesla viel selber macht und auf Zulieferer im Gegensatz zu anderen Fahrzeugherstellern weitestgehend verzichtet, sich weniger mit Zulieferern abstimmen muss. Das Einsparen von Fertigungsschritten und Schweißpunkten, gefaltet aus 3 Millimeter starkem unlackiertem Edelstahl, wird in der Massenproduktion eine noch günstigere Herstellung ermöglichen. Auch wenn viele technische Details noch gar nicht bekannt sind, so ist doch schon heute festzustellen: Tesla hat mit dem Cypertruck erneut die Produktion revolutioniert. Weggelassene Rückspiegel und abnehmbare Seitenspiegel, in Kombination mit einem 18,5 Zoll-Display und den Kameras – erstmals eine auch nach vorne gerichtet – sind dabei kleine, aber wirkungsvolle Details.

Beim Event warf Tesla-Chefdesigner Franz von Holzhausen in Anspielung an den Vorfall vor vier Jahren einen Baseball gegen die Seitenscheibe. Eine Stahlkugel hatte die seinerzeit zerbersten lassen. Manche hielten das für einen Marketingeffekt. Doch in jedem Fall hat das für zusätzliche Aufmerksamkeit gesorgt. Tesla wollte mit Augenzwinkern deutlich machen, dass der „Panzer“ für die Zombie-Apokalypse gerüstet ist. Es wurden auch Chrashtests auf Video eingespielt, bei denen der Cypertruck erneut beindruckte.
Im Gegensatz zu bisherigen Veröffentlichungen enden die Videos nicht vor dem eigentlichen „Einschlag“ und es ist beispielsweise zu sehen, dass der gesamte Vorbau des Cybertrucks nicht Teil des Exoskeletts ist. Die Fronthaube geht bis ganz nach unten. Dadurch fällt das Hauptargument derer weg, dass ein solches Fahrzeug für Europa gar nicht zulässig sein könnte.

Zu sehen gab es auch etwas, was für Europa eher nicht so wichtig sein dürfte: Mit einer Maschinenpistole und einer 8-Milimeter-Pistole wurde auf die Stahltür geschossen. Durch die Stahlhaut kam nichts durch. Ein ungewöhnlich sicheres Fahrzeug.

In einem weiteren Einspieler wurden Anwendungen beim Transport, beim Handwerk und beim Bauen gezeigt, inklusive der Verwendung der volllastfähigen Stromanschlüsse auf der Ladefläche, unter anderem einen Starkstromanschluss. Ein praktisches Nutzfahrzeug mit zahllosen Anwendungsmöglichkeiten kommt da auf den Markt.

Im Nachgang der Veranstaltung wurde bekannt, dass nunmehr das Fahrzeug als Vehicle-to-Grid, und damit als mobiler Stromspeicher nutzbar ist, starke elektrische Geräte bedienen, aber auch andere E-Autos laden kann. In Kombination mit der Tesla Power Wall oder auch über den Tesla Wallconnector in Kombi mit einer kostengünstig nachrüstbaren Schnittstelle ist sogar Vehicle to Home – beispielsweise als Notstromversorgung von Gebäuden möglich. Kühnste Träume von Preppern werden war und das, obgleich sich Elon Musk häufiger gegen bidirektionales Laden ausgesprochen hatte.

Es handelt sich bei diesem Tausendsassa auch um einen Sportwagen. Eingespielt wurde ein Rennen gegen einen Porsche 911. Diesen schlug der Cybertruck auf der Viertelmeile mit erzielten 11 Sekunden um mehr als eine Fahrzeuglänge. Besonders witzig: Er zog dabei sogar einen Anhänger, auf dem sich ein weiterer 911er befand.

Seit dem der Cybertruck vor nunmehr 4 Jahren erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickte, rankten sich Spekulationen um das Fahrzeug mit dem absurdesten Design der letzten Jahrzehnte. Die vermeintliche Hässlichkeit konnte rund zwei Millionen Menschen offenbar nicht davon abhalten, den Cybertruck zu reservieren. 2022 wurde die Reservierungsmöglichkeit sogar aktiv von Tesla geschlossen – zu viele Interessent:innen. Oder vielleicht sogar im Gegenteil: Genau wegen der ungewöhnlichen apokalyptischen Form könnten sich so viele für das aus Weltraumstahl von SpaceX geformte E-Auto interessieren… Weitere Spekulationen darüber, ob der Pickup-Truck überhaupt in Ländern jenseits Nordamerikas eine Straßenzulassung bekommt, halten sich bis heute. Tatsache ist, das Fahrzeug ist im Kernmarkt USA angekommen und es ist ein Brett, nicht nur optisch, sondern auch technisch gesehen, von dem her, was das Fahrzeug alles kann.

Besonders deutlich wird das durch die Vielfalt an von Tesla angebotenem Zubehör, für viele verschidene Use-Cases. Ersatzreifen, Schneeketten und ein Kompressor, der erlaubt, den Reifendruck unterwegs zu verändern, sind Beispiele, welche den Offroad-Charakter des Fahrzeugs im Extremeinsatz unterstreichen und die wesentliche Zielgruppe beschreiben. Eine Rampe wird angeboten. Noch spannender ist aber, und das macht es für vermutlich viele weitere mögliche Nutzer:innen interessant: ein Zelt, welches auf der Ladefläche angebracht werden kann, mit platzsparend verstaubaren aufblasbaren Holmen. Nice to have bietet Tesla zudem Folierungen an, Lampen auf dem Cybertruck, einen Dachgepäckträger und eine Vielzahl von Kleinteilen zur Aufwertung des Innenraumes, und auch beispielsweise eine Dachabdunkelung für die riesigen Glasflächen. Es gibt Ladeflächenabtrennungen und es gibt ein optimiertes Containersystem. Die Zombie-Apokalypse kann also kommen.


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  • Editorial – Faszinierende E-Autos
  • Leserbriefe
  • S3XY CARS 2024
  • Tesla Welt – David Reich: News des Quartals
  • Die Herausgeber – Tesla Owners TOCH
  • Die Herausgeber – Tesla Fahrer und Freunde (TFF) e.V.
  • Tesla – Wie hat Tesla das alles gemacht?
  • Tesla – Der Unmögliche
  • Tesla – Wie viel Bremsleistung bei über 1000 PS?
  • Strombock – Happy Birthday Tesla Supercharger in Deutschland
  • Tesla – TOCH besucht die GIGA Berlin
  • Elektromobilität – Drama Queen – Zwei Tage im Audi e-Tron GT
  • Energiewende – Wachstum an der richtigen Stelle
  • Energiewende – Wärmepumpe mit Gaspedal – das geht
  • Car Maniac – Testberichte
  • Gesellschaft – Das Vierte-Kraft-Gesetz
  • Gesellschaft – Ein unverpackter Plastiküberblick
  • Reisebericht – Im Highland durchs Winterchaos
  • Fanboy
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Ein Gedanke zu „Der Unmögliche

  1. “gefaltet aus 3 Millimeter starkem unlackiertem Edelstahl” das ist nicht richtig. Die Türen sind aus 1,8 mm Edelstahl und die Seitenwände, Kotflügel und Fronthaube aus 1,4 mm starken Edelstahl.

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